Perspektiven
07.04.2022
Jana Aulenkamp, Ärztin und Mitgründerin von match4healthcare
Mehr Partizipation für junge Ärztinnen und Ärzte
Zunächst eine unerfreuliche Nachricht zu Beginn: Medizinstudierende scheinen, im Vergleich mit anderen Studierenden, nicht besonders an Politik interessiert zu sein [1]. Medizinstudierende scheinen schon zu Beginn ihres Studiums sehr auf ihre Berufswünsche fokussiert zu sein und interessieren sich mehr für technische Entwicklungen [2].
Trotz dieser Grundvoraussetzung gibt es bereits viele Medizinstudierende, die ihre Freizeit schon während des Studiums nutzen, um sich in den Fachschaften, in Projekten oder bundesweit in der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) zu engagieren. Viele dieser Projekte oder Initiativen befassen sich mit versorgungsrelevanten oder gesundheitspolitischen Themen, wie z. B. das Aufklärungsprojekt zur Organspende, die Aufklärungsinitiative zur gesunden Ernährung in Schulen oder der generationenübergreifende Austausch in Pflegeheimen. Das Interesse der Studierenden, sich aktiv in die Versorgung einzubringen, auch wenn ihre fachlichen Kenntnisse noch begrenzt sind, scheint ausreichend zu sein. Doch wohin verschwindet diese Motivation und der Wille, als junge Ärztin oder junger Arzt eigene Projekte zu verwirklichen?
Einbindung bei Kammern und KVen als Chance
Eine mögliche Frage, um die Beteiligung junger Kolleginnen und Kollegen an der Versorgungs- und Berufspolitik in Zukunft zu erhöhen, sollte daher sein, wie wir die engagierten und motivierten Studierenden dauerhaft einbinden können. Dabei sollte berücksichtigt werden, was sich für den Einzelnen im Übergang vom Studium zum Beruf ändert, aber auch, wie Institutionen und Verbände bestehendes Engagement langfristig besser einbinden können.
Ich sehe es als Chance, Medizinstudierende gezielt in verschiedene Projekte von Kammern oder Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) einzubinden, vor allem bei inhaltlichen Schnittstellen. Auf diese Weise können frühzeitig Verbindungen geknüpft und Einblicke in die gesundheitspolitische Arbeit ermöglicht werden. Dies würde die Hürde für ein zukünftiges Engagement sicherlich senken.
Zeitmangel in der Weiterbildung
Die wohl größte Hürde nach dem Übergang ins Berufsleben sind für junge Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung der Zeitmangel und der Stress, dem sie ausgesetzt sind. Die Basis für Engagement und freiwillige, unbezahlte Arbeit ist Zeit und die Entwicklung von neuen Projekten braucht Zeit. Zeit, die die meisten Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nicht haben, denn viele klagen über zu wenig Zeit für Freizeit und für Familie. So ist es nicht verwunderlich, dass sie sich nicht noch ein zusätzliches Standbein wie das berufspolitische Engagement suchen.
Vor allem in Bezug auf Stress sind Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung stärker belastet als andere junge Menschen im gleichen Alter [3]. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. Aufgrund der gestiegenen Arbeitsbelastung gibt es während der Arbeitszeit kaum eine freie Minute mehr, um einen Schritt zurückzutreten und über Versorgungsprozesse- oder Verfahrensverbesserungen nachzudenken. Damit junge Ärztinnen und Ärzte die zeitlichen Ressourcen haben, sich zu engagieren, brauchen sie einerseits geregelte Arbeitsbedingungen und andererseits ein Arbeitsumfeld, das junge Kolleginnen und Kollegen unterstützt und zum Beispiel zusätzliche Fortbildungstage für Engagement ermöglicht. Darüber hinaus sollten geschlechtsspezifische Bedürfnisse bei der Ansprache junger Kolleginnen und Kollegen berücksichtigt werden. Beispielsweise ist zukünftigen Kolleginnen wichtiger, dass sie mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten haben, und sie können sich häufiger vorstellen, Teile ihrer Weiterbildung im ambulanten Setting zu realisieren, als männliche Kollegen [4].
Neujustierung des Finanzierungssystems
Neben der Zeit ist meines Erachtens auch die Arbeitszufriedenheit eine wichtige Voraussetzung, um sich in der Versorgung zu engagieren; und diese hat vor allem seit der Covid-19-Pandemie erheblich gelitten.
Die Arbeitsbelastung hat zugenommen, erkrankte oder in Quarantäne befindliche Kolleginnen und Kollegen mussten viel häufiger ersetzt werden, zudem wurde das Leistungsangebot in der stationären oder ambulanten Versorgung oft reduziert oder inhaltlich stark eingeschränkt, so dass zum Beispiel die Möglichkeiten zur Fortbildung limitiert wurden.
Abgesehen von Zeit und Stress ist der wahrgenommene Handlungsspielraum von Ärztinnen und Ärzten in der Weiterbildung begrenzt. In vielen Krankenhäusern herrschen immer noch starre Hierarchien, vor allem in der stationären Versorgung. Ökonomische Zwänge schränken den Handlungsspielraum ein, und die Tendenz zur Kommerzialisierung bestimmt zunehmend die Versorgungslandschaft und nicht der Bedarf an regionaler medizinischer Versorgung. Hier braucht es eine starke und geschlossene Ärzteschaft, die sich politisch für die Zukunft der Versorgung, aber auch für das Personal im Gesundheitssystem einsetzt. Ich wünsche mir daher, dass die Ärztinnen und Ärzte in Führungspositionen diesen Druck nicht ungefiltert weitergeben, sondern sich für ein Umdenken und eine Neujustierung unseres Finanzierungssystems stark machen.
Niedrigschwellige Angebote für Engagement
Wenn junge Ärztinnen und Ärzte sich entschieden haben, aktiv zu werden, stellt sich die Frage, wo sie sich engagieren wollen. Der Zugang zu einigen Berufsverbänden und Fachgesellschaften ist inzwischen gut, weil diese schon vor Jahren reagiert und junge Arbeitskreise eingerichtet haben. Leider ist der Einstieg zu manch anderen Gremien immer noch schwierig, intransparent oder es gibt zum Teil gar keine Ansprechstellen für den „Nachwuchs“. Was man braucht: niedrigschwellige Angebote oder Möglichkeiten, sich zu engagieren, die Möglichkeit in Sitzungen zu partizipieren und sich so einen Eindruck zu verschaffen.
Die ehrenamtliche Arbeit der jungen Kollegen in den Arbeitskreisen ist jedoch stark davon abhängig, wie viel Freiraum der Dachverband, die Fachgesellschaft oder die Kammer zulässt. Und hier kommen wir zu einer weiteren Herausforderung: Die ältere Generation möchte, dass sich die jüngere Generation engagiert, aber meist nur in dem Rahmen, den die ältere Generation auch interessant findet. Themen, die junge Ärztinnen und Ärzte interessieren, wie Gender, Klimawandel oder digitale Transformation, werden leider oft abgetan und als weniger relevant angesehen. So fordert der Deutsche Ärztinnenbund seit Jahren eine geschlechtergerechte Sprache in der Berufspolitik, was bisher von vielen Seiten eher ablehnend gesehen wurde. Eine ablehnende Haltung der „etablierten Ärzteschaft“ führt sicher nicht zu einer Identifikation des Nachwuchses mit „dieser Politik“, denn diese ist überwiegend weiblich.
Themen junger Ärztinnen und Ärzte ernst nehmen
Hier möchte ich alle „älteren“ Kolleginnen und Kollegen einladen, aktiv nach den Wünschen der jüngeren Generationen zu fragen und sie zu ermutigen, in den Diskurs einzutreten und sich andere Sichtweisen unvoreingenommen anzuhören. Ihre Themen sollten ernst genommen und wertgeschätzt werden. Diese Einbindung sollte sich aber nicht nur auf einem Diskurs begrenzen, sondern es sollte den jungen Kolleginnen und Kollegen Verantwortung übertragen werden, damit sie eigene Veranstaltungen oder Projekte realisieren können und so eine neue Perspektive überhaupt erst einbringen können. Abschließend möchte ich noch auf die wichtige Rolle von Vorbildern hinweisen. Wenn Vorgesetzte an der Gestaltung der Versorgung und an politischem Engagement interessiert sind, überträgt sich dies zumindest teilweise auch auf die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung.
Kurzum, die heutigen Akteure im Gesundheitswesen und in der Berufspolitik haben es in der Hand, jungen Kolleginnen und Kollegen Partizipationsmöglichkeiten zu ermöglichen, sie eigene Projekte nach ihren Vorstellungen realisieren zu lassen, sie unterstützend, aber nicht bevormundend zu begleiten und sich für diesen Nachwuchs für gute Arbeitsbedingungen stark zu machen.
[1] Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2017) Studiensituation und studentische Orientierungen | Zusammenfassung zum 13. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen 28
[2] Knopke K, Krüger L, Siri J (2017) Vereinzelt, konfliktscheu, weltoffen? Studierende und Politik
[3] Buddeberg-Fischer B, Stamm M, Buddeberg C, Klaghofer R (2010) Chronic stress experience in young physicians: impact of person- and workplace-related factors. Int Arch Occup Environ Health 83:373–379
[4] Jacobs R, Kopp J, Fellinger P (2019) Berufsmonitoring Medizinstudierende 2018 – Ergebnisse einer bundesweiten Befragung. Kassenärztliche Bundesvereinigung