Interview
08.07.2021
Nachgefragt bei ...
Dr. Stephan Hofmeister
Zum 1. Juli ist eine neue Corona-Testverordnung in Kraft getreten. Wie beurteilen Sie diese?
Es geht in dieser Testverordnung um Aufgaben, die in diesem Umfang schlichtweg nichts bei der ärztlichen Selbstverwaltung zu suchen haben. Um Falschabrechnungen und Betrügereien besser kontrollieren zu können, zieht die Politik die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mit in das Prüfgeschehen ein. Wir halten das für sehr problematisch. Es ist für die KVen inhaltlich, personell und im Detail praktisch unmöglich, das Abrechnungsgeschehen von allen Teststellen umfassend zu prüfen. Unsere Haltung ist ganz klar: Wir haben die Aufgabe, die Impfungen so schnell und umfassend wie möglich voranzutreiben. Je schneller wir hier vorankommen und die Menschen geimpft sind, umso weniger Tests werden wir brauchen.
Inzwischen können auch Kinder und Jugendliche gegen Corona geimpft werden. Warum sind Sie dagegen?
Wir sind nicht generell gegen die Impfungen von Kindern und Jugendlichen. Es geht uns lediglich darum, der Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu folgen. Demnach wird die Schutzimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren mit bestimmten Vorerkrankungen empfohlen sowie für Kinder und Jugendliche ab zwölf, in deren Umfeld sich Angehörige mit hoher Gefährdung für einen schweren Covid-19-Verlauf befinden. Die STIKO empfiehlt aber bekanntermaßen nicht generell eine Impfung für unter 18-Jährige ohne Vorerkrankungen. Uns ist es wichtig, dass nun nicht ein Versagen in Schul- und Bildungspolitik mit Massenimpfungen bei Kindern und Jugendlichen verschleiert wird. Diese Altersgruppe gehört ohnehin zu den großen Verlierern der Pandemie. Und es darf auch nicht sein, dass die Frage, ob die Schule besucht werden kann, mit einer Impfentscheidung verknüpft wird. Zudem war der Zeitpunkt der Ankündigung äußerst unglücklich. Das Impfangebot kam an dem Tag, als die Priorisierung bundesweit gefallen ist. Das geht ausschließlich zulasten der Kolleginnen und Kollegen samt ihren Teams in den Praxen. Die Aufhebung der Priorisierung ist durchaus in unserem Sinn – aber dafür muss auch die alles entscheidende Voraussetzung, nämlich genügend Impfstoffmengen für die Praxen, erfüllt sein.
In wenigen Monaten findet die Bundestagswahl statt. Was erwarten Sie aus gesundheitspolitischer Sicht?
Zweifellos ist es auch für uns als KBV spannend, von wem Deutschland nach der Wahl im September regiert wird. Wir werden die künftige Regierungsbildung sehr aufmerksam beobachten und schon im Vorfeld der Wahl unsere Forderungen für eine vernünftige Gesundheitspolitik in Gegenwart und Zukunft klar artikulieren. Dabei geht es uns nicht nur um eine grundsätzliche Wertschätzung der ambulanten Versorgung, die bei zahlreichen Akteuren aus der Politik leider zu kurz kommt. Wir wollen konstruktiv mit Lösungsvorschlägen und -angeboten die verantwortlichen Gesundheitspolitiker und -politikerinnen unterstützen, aktuelle Herausforderungen anzugehen.
Wir haben unter anderem in unserem gemeinsam mit den KVen entwickelten Konzept „KBV 2025: Strukturen bedarfsgerecht anpassen – Digitalisierung sinnvoll nutzen“ dargelegt, worauf es künftig bei der medizinischen Versorgung in Deutschland ankommen wird. Es wird weiterhin wichtig sein, unsere fachliche Expertise einzubringen und unsere Positionen eindringlich zu vertreten.
Ein Thema, das unter anderem in diesem Konzeptpapier erörtert wird, ist der Umgang mit der Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen. Wie schätzen Sie die Debatte ein?
Erst kürzlich fand im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) unter anderem auch zu diesem Thema eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestags statt. Mein Vorstandskollege Andreas Gassen hat unsere Standpunkte klar und deutlich dargelegt. Wichtig ist eine klare Regelung der Haftungsfrage für die handelnden Personen. In unserem Konzept „KBV 2025“ ist klar festgehalten, dass sowohl die berufsrechtliche als auch die wirtschaftliche Verantwortung ausschließlich bei den Angehörigen des betreffenden Gesundheitsberufs liegen muss, falls ärztliche Leistungen substituiert werden. Wir thematisieren dort ebenso die Weiterentwicklung nichtärztlicher Gesundheitsberufe und schlagen eine zeitweise Übertragung von Teilen der ärztlichen Heilkunde durch Ärztinnen und Ärzte an geeignete Gesundheitsfachberufe auf dem Wege der Delegation vor. Klar ist, dass die Übernahme delegierter Tätigkeiten und Leistungen durch entsprechend qualifiziertes Personal die Funktion haben muss, Ärztinnen und Ärzte zu entlasten. Eine ganzheitliche medizinische Betrachtung können aber letztlich nur Ärztinnen und Ärzte leisten.
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