01.06.2023
Nachgefragt bei ...
Dr. Sibylle Steiner
Wie kann die Digitalisierung des Gesundheitswesens endlich gelingen?
Es muss sichergestellt sein, dass der medizinische Prozess den technischen führt. Oder einfach ausgedrückt: Am Anfang muss die Frage stehen, welcher Prozess in der Patientenversorgung durch digitale Anwendungen verbessert werden kann. Erst danach sollte man sich an die technische Umsetzung machen. Beim Bundesgesundheitsministerium (BMG) und der gematik haben wir leider noch allzu oft den Eindruck, dass man dort genau umgekehrt an die Sache rangeht; also zuerst schaut, was technisch machbar ist und sich – wenn überhaupt – erst im Nachhinein die Frage stellt, inwiefern ein digitaler Prozess die Versorgung tatsächlich verbessert. Hier erwarten wir in Zukunft ein planvolleres und zielorientiertes Vorgehen und haben uns auch als KBV schon intensiv eingebracht.
Und was war das ganz konkret?
Erst kürzlich hat beispielsweise die KBV-Vertreterversammlung einen Vorschlag in Richtung Politik gemacht: Nämlich die ärztliche und psychotherapeutische Leistungserbringung zu flexibilisieren und mobiles Arbeiten auch für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zu ermöglichen. Natürlich müssen dabei bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt sein, so zum Beispiel, dass die Patientinnen und Patienten bei Bedarf zeitnah auch vor Ort in der Praxis versorgt werden können. Voraussetzung ist auch eine Zulassung für die vertragsärztliche Versorgung. Dann wäre das ein medizinisch sinnvolles und auf den Bedarf der Arzt- und Psychotherapeutenpraxen ausgerichtetes Angebot, ohne dabei die Patientenversorgung zu gefährden. Insbesondere für junge Kolleginnen und Kollegen könnte man damit auch die vertragsärztliche beziehungsweise psychotherapeutische Tätigkeit ein Stück weit attraktiver machen. Den Patientinnen und Patienten würde das in bestimmten Fällen Wege- und Wartezeiten ersparen.
Das BMG plant eine „ePA für alle“. Was halten Sie davon?
Das BMG setzt sich hier das ambitionierte Ziel, dass in zwei Jahren 80 Prozent der Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA) nutzen sollen. Das kann aus unserer Sicht aber nur gelingen, wenn die ePA sowohl für die Patientinnen und Patienten als auch die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen einen echten Mehrwert bietet – und selbstverständlich keinen Mehraufwand verursacht. Darauf haben wir auch in einem Beschluss der KBV-Vertreterversammlung hingewiesen. Unverständlich ist für uns, dass das BMG nicht auf praktische und längst konzipierte Anwendungen setzt, wie etwa den elektronischen Impfpass oder die Patientenkopie der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Stattdessen startet es nur mit einer Medikationsübersicht und dem Krankenhaus-Entlassbrief. Ob das reichen wird für so hohe Nutzerzahlen, da sind wir durchaus skeptisch.
Wie sieht es mit der Finanzierung der Telematikinfrastruktur (TI) aus?
Bezüglich der TI-Pauschale hat das BMG vor Kurzem verkündet, weiterhin auf eine Einigung der Selbstverwaltungspartner zu setzen. Wir haben dem BMG nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband unseren Vorschlag übermittelt. Wie das BMG da auf die Idee kommt, dass eine Pauschale unterhalb des Marktpreises die Hersteller dazu bewegt, ihre Preise zu senken, bleibt schleierhaft. Das Problem dabei: Durch den sogenannten Lock-in-Effekt ist es für viele Praxen fast unmöglich, den IT-Anbieter zu wechseln. Es gibt also keinen echten Anbieterwettbewerb. Wir fordern daher weiterhin eine kostendeckende Finanzierung, auch und insbesondere für neue Anwendungen. Eine Unterfinanzierung der TI zulasten der Praxen können und werden wir nicht akzeptieren – ebenso wenig wie die Unterstellung, wir seien Verhinderer der Digitalisierung. Das Gegenteil ist der Fall: Nutzenbringende, funktionsfähige und ausreichend finanzierte digitale Anwendungen werden wir, ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen vor Ort, jederzeit gerne mittragen.