Hintergrund
14.03.2022
Nachgefragt bei ...
Dr. Andreas Gassen
Rund zwei Flugstunden von Berlin entfernt tobt ein Krieg. Viele Menschen aus der Ukraine sind auf der Flucht. Was kann die Ärzteschaft tun?
Wir sehen mit großer Sorge auf die gegenwärtigen Entwicklungen. Wir erwarten Hunderttausende von Flüchtlingen aus der Ukraine. Deshalb sind wir mit dem Bundesgesundheitsministerium im engen Austausch, wie wir flächendeckend die medizinische Versorgung für diese Flüchtlinge sicherstellen können. Neben der medizinischen Betreuung wird vor allem auch die psychologische Betreuung sehr wichtig sein. Die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen stehen bereit – die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen schaffen. Ich bin überzeugt, dass wir hier als Ärzte- und Psychotherapeutenschaft entscheidend unterstützen können. In unserer Vertreterversammlung haben wir einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der wir klar zum Ausdruck bringen, wofür der Freiheitskampf der Ukraine derzeit stellvertretend steht – nämlich für die Grundwerte europäischen Denkens: Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In der Resolution haben KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine auf das Schärfste verurteilt und den Menschen in der Ukraine unsere volle Anteilnahme und Solidarität versichert.
Die schrecklichen Ereignisse in Europa haben medial auch die Corona-Pandemie in den Hintergrund gedrängt. Was ist für die ambulante Versorgung gerade noch relevant?
Wir haben im Vorfeld unserer Veranstaltung „Im PraxisCheck“ mit dem Bundesgesundheitsminister erfahren, als Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten uns um die 500 Fragen an Karl Lauterbach zugeschickt hatten, dass längst nicht nur die Pandemie die Gemüter bewegt. Mindestens ebenso ist es die Versorgungssicherheit im Allgemeinen, das Nachwuchsproblem und vieles mehr. Wenig überraschend ist vor allem die Digitalisierung ein weiteres Gebiet, welches die ärztlichen und psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen besonders beschäftigt. Tatsächlich gibt es kaum ein anderes Thema, dass die Emotionen so hochkochen lässt. Um nur mal eine Wortmeldung aus den zahlreichen Zuschriften zu zitieren, weil ich sie so schlicht wie umfassend in ihrer Aussagekraft fand: „Wir fliegen auf den Mond, aber eine Chipkarte kann den Computer meiner Praxis abstürzen lassen?“ Tatsächlich ist es ja noch absurder: Wir fliegen nicht nur auf den Mond, sondern sind technisch sogar in der Lage, ein Weltraumteleskop in 1,5 Millionen Kilometern Entfernung – das ist vier Mal weiter als der Mond – zu steuern und zu bedienen. Aber eine störungsfreie digitale Kommunikation zwischen Praxen und Krankenkassen oder Apotheken – das ist augenscheinlich eine viel größere Herausforderung. Von der gematik ist hier bei dem, was sie tut, die größtmögliche Sorgfalt zu erwarten. Schließlich verlangen wir nicht mehr, aber auch nicht weniger, als nutzenbringende, ausgereifte und in der Praxis funktionierende technische Lösungen.
Auch beim Zusammenwirken zwischen ambulantem und stationärem Sektor könnte sich etwas tun …
… zumindest hat die Reform des Paragrafen 115b SGB V – ambulantes Operieren im Krankenhaus – das Potenzial, die Zusammenarbeit von ambulant und stationär nachhaltig zu verändern. Bekanntermaßen haben wir als KBV, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV-Spitzenverband vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten, auf Basis eines wissenschaftlichen Gutachtens einen Katalog ambulant durchführbarer Operationen sowie sonstiger stationsersetzender Eingriffe und Behandlungen zu definieren. Für die Leistungen in diesem Katalog soll es eine einheitliche Vergütungssystematik auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) für Krankenhäuser und Vertragsärzte geben, differenziert nach Schweregrad. Das Gutachten sieht eine substanzielle Erweiterung des Leistungsspektrums vor, neben den operativen gehören auch konservative Leistungen dazu. In einem Stufenkonzept sollen zunächst unproblematisch überführbare Leistungen in den AOP-Katalog aufgenommen werden, im nächsten Schritt dann weitergehende neue Leistungen. Dazu gehören nach unserer Auffassung auch solche mit einer verlängerten Nachbeobachtungszeit, was perspektivisch auch Übernachtungen für Patientinnen und Patienten in einem vertragsärztlichen Setting ermöglichen kann, im Sinne unseres Konzepts einer erweiterten ambulanten Versorgung. Bei all dem stimmen wir uns eng mit den Berufsverbänden und auch der DKG ab. Ich bin optimistisch, dass wir hier auf einem guten Weg sind, die Schranken zwischen den Sektoren niederzureißen.