05.04.2024
Dr. Eckart von Hirschhausen
„Das größte Gesundheitsproblem ist die Klimakrise“
Dr. Eckart von Hirschhausen gibt nach eigenen Worten nie die Hoffnung auf positive Veränderungen auf. Für den Arzt und Fernsehmoderator bedeutet „planetare Gesundheit“, dem Schutz unserer Lebensgrundlagen und einer „enkeltauglichen Zukunft“ oberste Priorität einzuräumen. Im Klartext-Interview spricht er über die Zukunft des Gesundheitswesens, die „Medizin von morgen“ und sein Selbstexperiment mit der Abnehmspritze.
In Ihrer neuen Doku beleuchten Sie anlässlich eines ARD-Thementags die „Medizin von morgen“. Welche Herausforderungen sehen Sie für unser Gesundheitssystem?
Das größte Gesundheitsproblem ist die Klimakrise, denn sie bedeutet eine enorme Belastung für alle Menschen, die schon heute eine Vorerkrankung haben. Alle, die mit Herz-Kreislauf, mit den Nieren oder Übergewicht, Hochdruck und Zucker zu tun haben, sind bei Hitze maximal gefährdet. Für die Doku sind wir nach Paris gefahren, um zu zeigen, wie sich moderne Städte mit Grünanlagen, Gestaltung der Balkone und Fassaden, anderen Baumaterialien wie Holz und Lehm und vor allem auch viel mehr Bäumen und Grün statt Asphaltflächen in den Innenstädten auf die Hitzephasen vorbereiten. Frankreich ist uns da 20 Jahre voraus. Wir hatten in Europa 100.000 Hitzetote im letzten Sommer. Und da hilft keine künstliche Intelligenz (KI) und keine Gentechnik – bei dauerhaft mehr als 42 Grad Körperkerntemperatur sterben alle Menschen. Daran kann man sich nicht „anpassen“, das ist ein Naturgesetz. Deshalb ist das auch Teil unseres Films. Wir müssen endlich begreifen, dass die persönliche mit der planetaren Gesundheit ganz eng verknüpft ist. Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde.
Auf Ihrer Homepage schreiben Sie, dass Sie Ihre Bühnenkarriere aufgegeben haben, um sich mit Ihrer Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ für wichtige Veränderungen einzusetzen. Könnten Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, solange sie andere hauptberuflich zerstören. Deshalb habe ich mit meiner Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ inzwischen 14 Profis, die sich vor allem um die Kommunikation rund um den Schutz unserer Lebensgrundlagen kümmern. Es braucht eine „Lobby für die Zukunft“ – die Lobby der Vergangenheit ist bestens finanziert und vernetzt. Aber wer macht die Dringlichkeit klar, dass wir eine Jahrhundertaufgabe vor der Nase haben, und weniger als zehn Jahre Zeit? Keine Panik, aber Priorität. Und damit sich Politik bewegt, braucht es eine engagierte Zivilgesellschaft und guten Wissenschaftsjournalismus. Deshalb fühle ich mich mit den Dingen, die ich heute tue, auch an der richtigen Stelle und hoffe, andere zu inspirieren. Das Wichtigste, was ein Einzelner tun kann, ist – nicht alleine zu bleiben!
Wir müssen endlich begreifen, dass die persönliche mit der planetaren Gesundheit ganz eng verknüpft ist.
Die Doku läuft zum Start der neuen Staffel „Charité“. Wie realistisch halten Sie das Szenario in den neuen Folgen?
Es ist sehr spannend. Reinschauen lohnt sich auf alle Fälle. Die neue Charité-Staffel springt ins Jahr 2049 und entwirft durchaus realistische Zukunftsszenarien für unsere Gesellschaft und die medizinische Versorgung von morgen. Für die Drehbücher wurden auch Fachleute der echten Charité hinzugezogen. Es geht um die großen Themen wie neue Infektionskrankheiten, Gentechnik, KI und „Mikrobiom“ – also unser Zusammenleben mit den Bakterien im Bauch und auf der Haut. Dazu mache ich übrigens zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Katharina Adick einen Podcast. Gerade eine solche mediale Offensive und Vielfalt ist wichtig und finde ich super: Denn wir alle wollen ja gesund sein und am besten auch lange bleiben. Auch in Zukunft!
Stichwort „lange gesund bleiben“: Für Ihre Doku „Hirschhausen und die Abnehmspritze“ haben Sie einen Selbstversuch unternommen. Wie schnell kann man von ungesunden Lebensmitteln abhängig werden?
Das war für mich sehr eindrücklich und erschreckend! Ich habe eine Woche lang 1500 Kilokalorien zusätzlich gegessen, lauter Schokoriegel, Chips und anderen Schleckerkram. Das, was wie ein Traum klingt, wurde schnell zum Albtraum. Mein Blutzucker spielte verrückt. Ich konnte das Zeug, von dem ich in meinem Leben weiß Gott schon eine Menge verzehrt habe, am zweiten Tag schon nicht mehr sehen. Was ich aber im MRT sehen konnte: Meine Leber verfettete direkt um 45 Prozent! Und das Belohnungszentrum im Hirn sprach auf Fotos von Hamburgern, Kuchen und Schokosnacks noch stärker an als vorher. Das fühlte sich verrückt an: Subjektiv wollte ich nichts mehr davon sehen, aber mein Hirn wollte das genaue Gegenteil – mehr und mehr! Da habe ich am eigenen Leib erfahren, woher dieser Widerspruch kommt. Je dicker die Menschen werden, desto weniger funktioniert ihre Appetitregulation, und umso hungriger sind sie nach Zeug, was niemandem guttut. Unser Hirn ist dummerweise verrückt nach dieser künstlichen Mischung von Fett, Zucker und Salz – weil es die in der Natur nie gegeben hat. Das hat nichts mit „Schuld“ zu tun, für mich hat das Kennzeichen von Sucht – eben „Fettsucht“.
Übrigens habe ich nach dem Selbstversuch mit längeren Essenspausen, sprich Intervallfasten, Schwimmen, Radfahren und vor allem dem Verzicht auf Snacks sieben Kilo runter bekommen – und die Leber hat sich bestens erholt.
Das Ernährungssystem ist echt krank und zerstört unnötig Mensch und Natur.
Im Film berichten Übergewichtige von Hass und Häme, die sie einstecken müssen. Was hat Sie bei diesen Gesprächen am meisten berührt?
Der Grundgedanke all meiner Dokus in der ARD ist ja, dorthin zu gehen, wo Kameras selten hinkommen. Dort hinzuschauen, wo wir ungerne hinschauen, wo es auch weh tut, wo gesellschaftliche Tabus und blinde Flecken sind. Das war bei den Dokus aus dem Knast, dem Hospiz oder über seelische Gesundheit wie ADHS oder über Long-Covid so. Und so sind wir auch an das Thema Abnehmspritze herangegangen. Durch meinen Hintergrund als Arzt kenne ich schon manche Schattenseiten von Erkrankungen – aber die Gespräche in der Therapiegruppe von Essgestörten hat mich sehr berührt. Dort sprachen wir sehr offen über den öffentlichen Druck auf Übergewichtige. Je mehr Anfeindungen, desto mehr wünschen sich die Betroffenen einen „Panzer“, und Essen wird zum kurzfristigen Frustabbau, langfristig steigt aber der Frust und sogar der Selbsthass.
Im Film gehen Sie auf die hohen gesellschaftlichen Kosten ein, die Adipositas verursacht. Und Sie verweisen auf Großbritannien, wo es steuerliche Nachteile gibt, wenn Getränkehersteller zu viel Zucker in die Limonaden tun. Brauchen wir auch in Deutschland eine Zuckersteuer?
Ja, das fordern Fachleute schon sehr lange. Denn es ist absolut unverständlich, warum die Gewinne aus dem Verkauf von ungesunden Lebensmitteln privatisiert werden, aber die Folgekosten die Gemeinschaft tragen soll. Aber die politische Einflussnahme der Industrie ist sehr mächtig, und bezeichnenderweise hat uns der Cheflobbyist ein Interview abgesagt. Die Schäden durch falsche Ernährung kosten uns Milliarden. Von dem ganzen vermeidbaren menschlichen Leid ganz abgesehen. Positiv formuliert könnten wir mehr Gesundheit und Lebensfreude haben und dabei sehr viel Geld im Reparaturbetrieb sparen, wenn wir den Zugang zu Obst und Gemüse erleichtern und von der Mehrwertsteuer befreien, und dafür Zucker, Billigfleisch, hochverarbeiteten und hochkalorischen Schrott teurer machen. Ebenso sollte Werbung für Ungesundes für Kinder aus dem TV und dem Internet verschwinden. Das ist Konsens in der Medizin. Leider nicht in der Politik. Dabei würde uns eine Zuckersteuer laut aktueller Studien 16 Milliarden Euro sparen – die könnte man doch gut woanders brauchen.
Wir können 150.000 frühzeitige Todesfälle in Deutschland verhindern durch die „planetary health diet“.
Sie fordern: „Es muss einfacher sein, sich gesund und vernünftig zu ernähren!“ Wie könnte das funktionieren?
Gerade in Zeiten von Inflation und vielen Krisen sparen viele als Erstes am Essen. Gesund zu essen ist aber Menschenrecht und kein Luxus. Dänemark macht es vor: in allen Kitas, Schulen und Kantinen gibt es Standards – und blitzschnell verändert sich die Gewohnheit, die Nachfrage und der Anbau von nachhaltigen Lebensmitteln. In Deutschland streiten wir seit Jahren über Kennzeichnungen, tun so, als ob „Selbstverpflichtung“ funktioniert und bieten in Schulen und Krankenhäusern jeden Tag Zeug an, was alles andere als gesund oder nachhaltig ist. Ein Drittel aller Lebensmittel wird weggeworfen, und der übermäßige Fleischkonsum zerstört die letzten zusammenhängenden Regenwälder für Futtermittel und Weideflächen. All das „kaufen“ wir täglich mit ein. Das Ernährungssystem ist echt krank und zerstört unnötig Mensch und Natur. Bei meiner Oma gab es den Sonntagsbraten – und unter der Woche Gemüse und Kartoffeln. Dick war sie nicht. Immerhin fangen viele Kantinen an, leckeres pflanzenbasiertes Essen anzubieten. Wir können 150.000 frühzeitige Todesfälle in Deutschland verhindern durch die „planetary health diet“, also Essen was für den Einzelnen und die Erde gesünder ist. Wann machen wir das endlich?
Die Fragen stellte Thomas Schmitt
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