Berlin Intern
09.09.2022
Drei Fragen an …
Dr. Thomas Kriedel
1. Laut gematik wurden bis vor Kurzem 30.000 elektronische Rezepte (eRezepte) von den Kassen abgerechnet. Reicht das für den Rollout?
Ende vergangenen Jahres hatte die Gesellschafterversammlung genau das als erste Stufe der Einführung des eRezepts gefordert. Das ist ein allererster Schritt, aber bei einer solchen Massenanwendung nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich anschaut, dass in diesem Zeitraum etwa 380 Millionen Rezepte auf Papier ausgestellt worden sind. Uns war es aber auch wichtig, dass diese 30.000 eRezepte erfolgreich eingelöst werden, damit man sehen kann, dass die Technik an sich – auch im Feld – funktioniert. Aber aus unserer Sicht ist deshalb noch nicht zwingend das Ausrollen möglich. Denn nach dem Test der Technik kommt es nun darauf an, die Bedingungen wirklich in der Praxis zu erproben. Das heißt in 100.000 Arzt- und Zahnarztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken. Diese Abläufe sind noch nicht ausreichend getestet. An einer Online-Umfrage der KBV Anfang August haben rund 4.000 Praxen teilgenommen. Knapp zehn Prozent der Arztpraxen, die an der Umfrage teilgenommen haben, haben bereits erste Erfahrungen mit dem eRezept gesammelt. Größter Kritikpunkt – ähnlich wie bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Die Ausstellung inklusive elektronischer Signatur dauert zu lange. Der Ausdruck mit dem Rezeptcode, der für Patienten ohne Rezept-App erforderlich ist, wird auch sehr kritisch gesehen. Viele Ärztinnen und Ärzte hinterfragen verständlicherweise den Sinn einer Digitalisierung, die mehr Papier produziert als vorher.
2. Was ist jetzt noch erforderlich?
Es gibt so viele Probleme, die in dieser ersten Phase noch nicht betrachtet wurden. Wie gesagt: Bis dato ist nur die Technik getestet worden. Und vieles kann man bei gerade mal 30.000 Rezepten schlichtweg nicht erkennen. Zum Beispiel ist dabei nicht erhoben worden, wie hoch der Aufwand war: Hat die Arztpraxis vielleicht eine Stunde daran rum gearbeitet? Kam das Rezept zurück, bevor es dann erfolgreich in die Apotheke gegangen ist? Das wissen wir alles nicht. Da muss jedoch alles funktionieren. Das soll in einem nächsten Schritt, in einem Drei-Phasen-Modell, umgesetzt werden. Das haben wir als KBV maßgeblich in der Gesellschafterversammlung der gematik durchgesetzt. Das heißt: Für eine ersten Phase hatten sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe und der KV Schleswig-Holstein zwei KVen bereit erklärt, das Ausrollen intensiv ab dem 1. September mit ihren Ärztinnen und Ärzten zu testen. Die KV Schleswig-Holstein muss sich aber bis auf Weiteres aus der Rollout-Phase zurückziehen. Die KV reagierte mit der Entscheidung auf die Absage der dortigen Landesdatenschutzbeauftragten, Rezeptcodes mit Einwilligung der Patienten auch per E-Mail oder als SMS verschicken zu dürfen. Damit gibt es aus Sicht der KV momentan keine wirkliche digitale Alternative zur eRezept-App – die allerdings voraussetzt, dass die Krankenkassen eine NFC-fähige Gesundheitskarte sowie die dazugehörige PIN an die Versicherten ausgegeben haben. Die KV Westfalen-Lippe beteiligt sich wie geplant.
3. Und dann?
Wenn die initiale Phase erfolgreich verlaufen ist, wird der Rollout auf sechs weitere KVen ausgedehnt – und danach dann auch auf die restlichen KVen. Uns als KBV war dabei wichtig, dass wir sagen, das passiert nicht nach sechs, sieben oder acht Wochen oder nach drei Monaten, sondern erst dann, wenn alle erforderlichen Kriterien erfüllt sind. Das bedeutet: Das eRezept und die gesamten Prozesse, der ganze Vorgang von der Verordnung in der Praxis bis über die Sendung auf den Server, in der gematik bis zum Abruf von der Apotheke und die Abrechnung des Rezepts über die Apotheke zur Krankenkasse muss tadellos funktionieren. Noch mal: Es ist uns bei solchen Massenprozessen wichtig, sämtliche Abläufe so zu erproben, dass am Ende alles reibungslos klappt. Es geht um 450 Millionen Rezepte im Jahr. Es lässt sich leicht ausrechnen, was für eine riesige Menge an Problemen aufträte, wenn die Fehlerquote bei einem oder nur einem halben Prozent läge. Und die Patientinnen und Patienten brauchen schließlich die Medikamente. Die kann man nicht wieder zum Arzt zurückschicken, um alles noch einmal neu auszustellen. Nein, das muss hundertprozentig klappen.