30.04.2021

„Wir impfen uns aus der Pandemie“

Das Foto zeigt einen Impfausweis, auf dem die Impfung gegen Covid-19 mit einem Kreuz eingetragen ist. Im Vordergrund ragen eine Impfspritze und ein Heftpflaster ins Bild.
Nach dem Piks mit der Spritze erfolgt ein entsprechender Vermerk im Impfausweis. Foto: Adobe Stock/Zerbor

Wohl selten zuvor standen sie so sehr im Fokus einer ganzen Nation: Deutschlands Arztpraxen sind die große Hoffnung in der Corona-Pandemie. Durch ihren Einsatz beim Impfen gegen Covid-19 ist die Chance immens, nach über einem Jahr wieder zu einem Leben wie vor dem Ausbruch des Virus zurückzukehren.

Selbst auf höchster politischer Ebene wird die Einbindung der Arztpraxen forciert. Um bei der SARS-CoV-2-Impfkampagne endlich voranzukommen, hat sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür starkgemacht. Mit der Beteiligung der Hausärzte könne man „schneller und flexibler werden“, konstatierte die deutsche Regierungschefin. Deutsche Gründlichkeit werde um mehr Flexibilität ergänzt. „Die Devise lautet: Impfen, Impfen, Impfen.“  

KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen: „Wir impfen uns aus der Pandemie.“ Foto: imago-images/Christian Thiel

Vonseiten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wird dieser Lösungsansatz schon lange propagiert. „Mittlerweile versteht die Politik, dass es ohne uns Ärzte keine Lösung des Impfdebakels und keinen Weg aus der Pandemie geben wird“, sagt KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen und fordert die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen auf: „Zeigen wir der Politik nun, dass wir das Impfen können! Nicht nur für unser Ego, sondern für die Menschen, die uns vertrauen – unsere Patientinnen und Patienten.“

 

KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister: „Für die vertragsärztlichen Praxen ist das Impfen tägliche Routine.“ Foto: imago-images/IPON

Auch für Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender KBV-Vorstandsvorsitzender, steht fest, wie ein Pandemie-Ende erreicht werden kann: „Der Weg zu diesem Ziel ist das Impfen – je schneller und je mehr, desto besser. Und das wiederum geht nicht ohne die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.“ In anderen Ländern werde beim Einkaufen, in wieder anderen am Strand geimpft. „Soweit müssen wir nicht gehen. Denn wir haben unser flächendeckendes, wohnortnahes Netz aus Praxen mit Ärztinnen und Ärzten und ausgebildeten medizinischen Fachkräften, deren Beruf es ist zu impfen.“ Zunächst waren die Vakzine mit Beginn der Impfkampagne Ende Dezember 2020 vor allem in den bundesweit 433 Impfzentren verabreicht worden.

Riesenpotenzial in Praxen

Wie wichtig der Erfolg beim Impfen ist, wird bei einer Bestandsaufnahme der Lage im Land sehr deutlich: Von Pandemie-Müdigkeit ist häufig die Rede. Viele Menschen sind erschöpft und genervt vom ständigen Hin und Her von Regeln und Einschränkungen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen sind bei Weitem noch nicht vollends abzuschätzen. Aber nicht nur medizinische Folgen der Krise werden immer sichtbarer, sondern auch psychologische, soziale, wirtschaftliche, bildungspolitische und kulturelle. Es geht um Existenzen: Manche kämpfen gegen den Zusammenbruch, andere müssen bereits die Scherben zusammenkehren.

Hofmeister: „Die physischen und psychischen ,Kollateralschäden‘ werden wahrscheinlich nie in Gänze zutage treten. Und ich spreche nicht von den Schäden durch das Virus selbst, sondern durch das monatelange Eingepfercht-Sein vieler Familien auf engem Raum durch Kontaktverbote und Homeschooling, durch das Fernhalten von Kindern von ihren Freunden und anderen wichtigen sozialen Bezugspunkten.“ Manch einer spricht bereits von einer verlorenen „Generation Corona“. Vielerorts fällt das Urteil über das häufig wankelmütige Agieren der politisch Verantwortlichen nicht gerade positiv aus. Zuletzt kritisierte etwa Professor Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts, in einem Fernsehinterview den „Jo-Jo-Lockdown“, in den uns die Politik geführt habe, weil sie eben nicht viel früher eine überzeugende Strategie eingeschlagen habe. Der Ökonom vermisst nach wie vor „ein wirklich überzeugendes proaktives Pandemie-Management in Deutschland – und zwar mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie“.

Als Ausweg bleibt die Immunisierung. KBV-Chef Gassen ist zuversichtlich: „In den Praxen schlummert ein Riesenpotenzial.“ Denn Zehntausende Mediziner impften in Deutschland regelmäßig Patienten. Sobald das Impfstoffaufkommen entsprechend hoch sei, könnten mehrere Millionen Corona-Impfungen pro Woche durchgeführt werden. „Die Bedingungen sind klar und von uns seit Langem kommuniziert: Wenn es erst einmal losgeht, brauchen wir eine ausreichende und kontinuierliche Lieferung von Impfstoffen an die Praxen“, fordert Gassen. „Das wären nach unserer Berechnung circa drei bis vier Millionen Dosen pro Woche. Dann schaffen wir – flankiert von Impfzentren und Betriebsärzten – das, was vor uns schon Israel, die USA, Großbritannien und auch Chile geschafft haben: Wir impfen uns aus der Pandemie.“

Aufruf zur Immunisierung: Mit dem Impfen in den Praxen ist die Corona-Pandemie in den Griff zu bekommen. Foto: © KBV

Klare Forderungen an Politik

Hofmeister unterstreicht: „Für die vertragsärztlichen Praxen ist das Impfen tägliche Routine.“ Das Einzige, was sie dafür bräuchten, sei eine verlässliche Belieferung und seien klare Regelungen zum Impfen. „Die Sache ist glasklar und auf eine einfache Formel zu bringen: Je mehr Bürgerinnen und Bürger in umso kürzerer Zeit geimpft werden können, desto besser“, erläutert der KBV-Vize. „Deshalb begrüßen wir ausdrücklich eine Unterstützung beim Impfen durch Betriebsärztinnen und -ärzte, sobald genügend Impfstoff zur Verfügung steht.“

Vor diesem Hintergrund sind Angebot und Forderungen der KBV an die Politik klar und einfach. „Beschafft ausreichend Impfstoff und das erforderliche Zubehör. Das ist Aufgabe der Politik!“, verlangt Hofmeister unter anderem. Eine weitere Bitte: „Lasst die Ärztinnen und Ärzte impfen – und zwar in allen Praxen, die dazu bereit sind. Impfen haben wir in mindestens zwölf Jahren Ausbildung gelernt. Das können unsere Teams und wir.“ Zudem empfiehlt der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende, die üblichen bewährten Wege und Mechanismen mit dem pharmazeutischen Großhandel, Apotheken und den vertragsärztlichen Praxen zu nutzen. Das funktioniere seit Jahrzehnten. „Und last but not least: Lasst uns einfach machen! Keine zusätzliche Bürokratie! Wir wollen impfen, nicht mehr und nicht weniger. Wir wollen die Pandemie beenden.“

Ein Hausarzt in Baden-Württemberg impft eine Patientin gegen Covid-19. Foto: imago-images/Wilhelm Mierendorf

Wie beim Grippeschutz

Und nicht allein der kurzfristige schnelle Erfolg ist für die Impfungen bei Haus- und Fachärztinnen und -ärzten wichtig. „Langfristig kann das Impfen ohnehin nur in Praxen stattfinden“, erklärt Gassen. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Covid-19-Schutzimpfung regelmäßig an das sich verändernde Virus angepasst und Impfungen wiederholt werden müssen. Dann werde es ähnlich wie bei der jährlichen Grippe-Schutzimpfung laufen müssen. „Spätestens dann wird das Impfen auch gegen Corona zur jährlichen Routine werden. Das geht nicht ohne unsere Praxen und deren ärztliches Knowhow und ohne die geübten Distributionswege“, so der KBV-Chef. Weder Apotheken noch irgendwelche Zentren könnten das leisten. Gassen: „Zum Impfen gehen die Menschen zum Arzt, das war immer so und wird auch immer so bleiben.“ Für Hofmeister kristallisiert sich zudem ein Nebeneffekt heraus: „Die Pandemie führt idealerweise zu einem höheren Bewusstsein auch in der Bevölkerung hinsichtlich der Bedeutung von Impfungen im Kampf gegen Infektionskrankheiten.“

Einen ganz anderen, aber nicht unwesentlichen Aspekt für die Arztpraxen im Impfgeschehen stellt die Frage nach einem entsprechenden digitalen Immunisierungsnachweis dar. „Da wird, so wie man das sieht, eine europäische verbindliche Vorschrift für alle Mitgliedsländer kommen, einen entsprechenden Covid-Impfpass einzuführen“, veranschaulicht KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel. Unproblematisch ist das Ganze nicht: Bedenklich ist vor allem, wie mit Patientinnen und Patienten verfahren wird, die bereits geimpft sind, aber noch nicht den Impfpass haben. Fällt deren Nachdokumentation dann den Arztpraxen zu?

„Wir haben die Sorge, dass mitten in die Phase des hochintensiven Impfens in den Praxen auch noch diese zusätzliche Anforderung kommt und das Impfen einfach zeitlich zurückwirft“, warnt Kriedel. „Wir müssen darauf achten, dass nicht eine zusätzliche bürokratische und dokumentarische Belastung auf die Praxen zukommt.“ Es dürfe kein „Bürokratie-Tsunami“ über die Praxen hereinbrechen – auch nicht für nachträgliche Nachweise für dann möglicherweise zehn Millionen Menschen, die bis dahin geimpft wurden oder eine Covid-19-Infektion durchlaufen haben. Denn es sollen offenbar nicht nur Covid-Impfungen, sondern auch überstandene Covid-Infektionen dokumentiert werden.

Am Stevenson Square in Manchester: Das Vereinigte Königreich ist nach einem langen Lockdown und einem großen Fortschritt beim Impfen auf dem Weg zurück zur Normalität. Foto: imago-images/Stelle Pictures/Matt Wilkinson

Der Impfstart in den Praxen macht jedenfalls zuversichtlich. „Das wird die Kampagne deutlich nach vorne bringen“, verlautbarte aus einigen Kassenärztlichen Vereinigungen. „Der Start zeigt, dass die Musik bei den Corona-Impfungen nun in den Arztpraxen spielt und die Kolleginnen und Kollegen dort die Impf-PS schnell, sicher und unbürokratisch auf die Straße bringen“, so Gassen. Der so oft beschworene Impfturbo ist durch Einbindung der Niedergelassenen gezündet. Solange der Sprit – sprich der Nachschub an Vakzinen – nicht ausgeht, dürfte der Ausgang des Rennens klar sein. Gassen: „Jeder Tag zählt, damit die Gesellschaft wieder in ihr normales Leben zurückkehren kann.“

Thomas Schmitt

 

 

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