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21.10.2024

Lost and Found in Health Care

KBV-Herbsttagung 2024: Orientierung in der ambulanten Versorgung

Multiprofessionalität ermöglicht eine breite Wissensnutzung, darin sind sich Prof. Dr. Ursula Walkenhorst (Universität Osnabrück), Hannelore König (Verband medizinischer Fachberufe e.V.), Dr. Gundolf Berg (ZAP Mainz) und Dr. Volker Schrage (KV Westfalen-Lippe) einig (v.l.n.r.). Foto: KBV / Anna Michel

Das Gesundheitssystem wird zunehmend komplexer, während die Zahl der Patientinnen und Patienten weiter steigt. Um auch künftig eine optimale ambulante Versorgung und Orientierung in den Versorgungsstrukturen sicherzustellen, müssen alle Akteure im Gesundheitswesen kooperieren. Welche Chancen bieten hier interprofessionelle Zusammenarbeit und künstliche Intelligenz (KI)? Dazu haben sich Expertinnen und Experten bei der Herbsttagung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgetauscht.

 

Ein zentrales Thema war die Bedeutung der Versorgungssteuerung und das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Berufsgruppen. Die Vernetzung von Patientinnen und Patienten mit den für sie passenden Versorgungsstrukturen ist entscheidend für eine zukunftssichere Gesundheitsversorgung – ein Prozess, der nur durch die enge Zusammenarbeit im Gesundheitswesen erfolgreich gelingen kann.

Parallel dazu eröffnen technologische Fortschritte, insbesondere im Bereich der Digitalisierung, neue Möglichkeiten zur Optimierung der Versorgung. Moderne KI-Analysetools wirken bei der Auswertung medizinischer Daten, etwa von Röntgenbildern, schon heute unterstützend. Diese Innovationen können zu einer effizienteren und präziseren Diagnostik beitragen, werfen jedoch auch Fragen zur Sicherheit und ethischen Verantwortung auf.

 

Unter der Moderation von Heike Bökenkötter diskutierten Dr. Doris Reinhardt, Dr. Sandra Blumenthal, Dr. Bernadette Klapper und Gerlinde Bendzuck (v.l.n.r.) unter anderem das „Match-Making“ zwischen Patientinnen und Patienten und Versorgungsstrukturen. Foto: KBV / Anna Michel

Teamwork makes the dream work?

Auftakt des fachlichen Austauschs bildete eine Podiumsdiskussion zum Thema Versorgungssteuerung. Die Begriffe Steuerung, Kooperation und KI eröffneten die Diskussionsrunde mit Dr. Doris Reinhardt (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg), Dr. Sandra Blumenthal (Hausärztinnen- und Hausärzteverband Berlin und Brandenburg), Dr. Bernadette Klapper (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe) und Gerlinde Bendzuck (Deutsche Rheumaliga). Kommunikation und ein gutes Miteinander seien laut Heike Bökenkötter (Ärztezeitung) die Voraussetzung dafür, die richtige Versorgungsebene für Patientinnen und Patienten zu finden. Eine funktionierende digitale Infrastruktur sei hierfür unverzichtbar, um eine unbürokratische Steuerung zu ermöglichen. Doch wie soll eine reibungslose Koordination gelingen, wenn es an Ressourcen mangelt? Die Runde war sich einig: Personelle Kräfte müssten geschult und die interprofessionelle Zusammenarbeit dringend verbessert werden, um das System zu entlasten.

Angesichts demografischen Wandels und neuer Arbeitszeitmodelle verschärft sich folgende Situation: Während die Arztzeit abnimmt, steigt der Behandlungsbedarf – insbesondere bei Multimorbidität, wo mehrere Erkrankungen gleichzeitig vorliegen. Kann eine stärkere Einbindung der Praxismitabeitenden dazu beitragen, eine qualitativ hochwertige Versorgung auch in Zukunft zu gewährleisten?

 

„Der Bedarf in den niedergelassenen Praxen ist da“, betont Hannelore König über die Bedeutung der MFA-Berufsgruppe. Foto: KBV / Anna Michel

„Da geht das Herz der MFA auf“

Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Berufsgruppen war auch ein Kernpunkt der Fachsession „Teamwork in der ambulanten Versorgung“. In der Versorgungssteuerung übernehmen Ärztinnen und Ärzte eine zentrale Koordinationsrolle, bei der sie nicht nur ihre eigene Expertise, sondern auch das Fachwissen und die Kompetenzen anderer Professionen einbeziehen. Die Delegation von Aufgaben und die interdisziplinäre Zusammenarbeit schaffen so neue Möglichkeiten, die Patientenversorgung effizienter zu gestalten.

Hannelore König, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe (vmf) und selbst Medizinische Fachangestellte (MFA), betonte, dass ihre Berufsgruppe bereits viel im Praxisalltag koordiniere. Sie fügte hinzu: „Mittendrin und multiprofessionell steuern – da geht das Herz der MFA auf.“ Angesichts des steigenden Bedarfs an Fachexpertise in den vielen niedergelassenen Praxen sei es umso wichtiger, die Rolle der MFA weiter zu stärken.

Auch die fortschreitende Digitalisierung bietet erhebliche Chancen. Die Nutzung von KI könnte den Ressourcenmangel abfedern, indem administrative sowie diagnostische Prozesse erleichtert und beschleunigt werden.

 

Technologische Innovationen, wie die automatisierte Analyse von Röntgenaufnahmen, kommen in der Diagnostik bereits zum Einsatz. Foto: iStock / AndreyPopov

Kollegin KI

Auf dem Einsatz von KI ruhen viele Hoffnungen, doch das große Potenzial geht auch mit Risiken einher, so die Fachleute in einer der letzten Fachsessions des Tages. Bei der KV Nordrhein (KVNO) haben sie schon eine sehr konkrete Vorstellung von der Praxis der Zukunft, folglich heißen die multimedialen Räume, die die KV in Köln und Düsseldorf eingerichtet hat: „Praxis4Future“. Dort können Mitglieder und ihre Praxisteams bereits heute erleben, wie sich die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung in den kommenden Jahren verändern kann – und was sogar bereits heute möglich ist. Sei es die Säule zum Self Check-in, in die Patientinnen und Patienten beim Betreten der Praxis ihre Versichertenkarte schieben. Seien es echte Praxisverwaltungssysteme, die ausprobiert werden können, ebenso wie TI-Messenger und Augmented Realtiy Tools. Das Ziel: zunehmender Bürokratisierung und gleichzeitigem Personalmangel in den Praxen etwas entgegenzusetzen. „Wenn wir den Betrieb aufrechterhalten wollen, wird auch die Bedeutung von KI wachsen“, ist sich Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KVNO, vor allem mit Blick auf Serviceleistungen sicher.

Das gilt auch für den Service, den die KV den eigenen Mitgliedern bietet. Seit März werden diese bei Anrufen von einer digitalen Serviceassistentin namens Katja in Empfang genommen und von dieser an die entsprechenden Fachstellen weitergeleitet. Mittlerweile vermittelt Katja jeden Monat tausende Anrufe. Das System sei in der Lage, „frei gesprochene Sätze“ zu erkennen, sodass eine dahinter stehende KI innerhalb von Millisekunden den Grund für den Anruf analysieren könne, so Bergmann. Der KVNO-Chef zeigte sich überaus zufrieden mit den bisherigen Leistungen des KI-Sprachmodells, gab aber auch zu bedenken, dass es einen langen Atem gebraucht habe. Zwei Jahre habe die Vorbereitung gedauert, schließlich sei das System „zunächst auf dem Stand eines fünfjährigen Kindes“ gewesen.

 

Dr. Bernhard Gibis (KBV), Johanna Schmidhuber, Frank Bergmann und Dr. Philipp Stachwitz (v.l.n.r.) tauschen sich über die Möglichkeiten von KI aus. Foto: KBV / Anna Michel

Wird künstliche Intelligenz die ärztliche Expertise ersetzen?

„In der Ambulanz kann KI Personal und Patienten entlasten“, sagte Johanna Schmidhuber vom Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS. Vor allem im Bereich des Prozessmanagements sieht sie großes Potenzial. Also zum Beispiel bei der Buchung von Terminen, der Vorhersage des Patientenaufkommens, der Personal- und Ressourcenplanung sowie der Abrechnung ärztlicher Leistungen. Aber auch bei der Erstellung von Dokumenten, der Transkription von Diagnosen und Behandlungen sowie bei der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten via Chatbots böten solche Sprachmodelle großes Potenzial – „wenn sie angemessen eingesetzt werden“.

Auf die Sicherheit der Anwendungen legten sie am Fraunhofer-Institut ein besonderes Augenmerk, weshalb ihre Abteilung dort das Wort „vertrauenswürdig" auch schon im Namen trägt: „Trustworthy Digital Health“. Dazu gehöre auch, dass KI vor ihrem Einsatz in der Praxis verifiziert und zertifiziert werde. Das bedeutet aber auch: „KI muss erklärbar sein“, sagte die Projektmanagerin. Erklärbar seien eine künstliche Intelligenz und ihre Aussagen unter anderem dann, wenn die Daten, mit denen ein dazugehöriger Algorithmus trainiert wurde, bekannt seien.

Ansonsten, so der Leiter des Stabsbereichs Digitalisierung bei der KBV, Dr. Philipp Stachwitz, stelle sich unweigerlich die Frage: „Warum kommt die Maschine zu einer bestimmten Entscheidung?“ Vor diesem Hintergrund sei ihm auch nicht wirklich bange um die Zukunft seines Berufsstandes, so Dr. Stachwitz: „Wahrscheinlich werden Ärztinnen und Ärzte nicht durch KI ersetzt, sondern durch Ärztinnen und Ärzte, die KI einsetzen.“

 

Celina Ritter / Ben Reichardt