21.08.2024

Gewalt in Praxen

Justizminister Buschmann will härtere Strafen prüfen

Eine gestresste medizinische Fachangestellte mit Stethoskop um den Hals sitzt am Schreibtisch und geschlossenen Augen, hält sich die rechte Hand an die Stirn und in der linken Hand den Telefonhörer an die Schulter.
Gerade MFA bekommen am Telefon oder an der Anmeldung den Frust der Patientinnen und Patienten als erste zu spüren. Foto: Adobe Stock / Robert Kneschke
Die Gewalt gegen Niedergelassene und ihre Praxisteams hat bedrohlich zugenommen. Zwar will das Bundesjustizministerium (BMJ) per Gesetzesänderung Täterinnen und Täter künftig härter bestrafen; Angriffe in Praxen werden in einem Referentenentwurf jedoch nicht explizit erwähnt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) möchte die Politik auch für die Gewalt in Arztpraxen sensibilisieren – mit Chancen auf Erfolg.

 

Angriffe auf Rettungskräfte, Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten, Bedrohung von Feuerwehrleuten: Die Anzahl und Schwere der Fälle nimmt seit Jahren dramatisch zu. Gerade diejenigen, die sich für unsere Gesellschaft und ihre Mitmenschen einsetzen, werden immer häufiger zur Zielscheibe von Hass und Gewalt.

Zum Schutz dieser und weiterer Personengruppen will Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann das Strafgesetzbuch nun erweitern und damit den Angriffen und den „darin zum Ausdruck kommenden Verrohungstendenzen“ entgegenwirken. Einen entsprechenden Referentenentwurf hat das BMJ Anfang Juli vorgelegt.

„Unsere MFA haben Angst, in die Praxis zu gehen“

Besonders die Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte scheint immer weiter zu eskalieren. Dabei sind nicht nur die in diesem Kontext häufig genannten Notaufnahmen oder Rettungskräfte betroffen, auch in den Praxen gehören Anfeindungen längst zum Alltag: „Beschimpfungen und rüdes Verhalten, sei es verbal oder körperlich, werden in den Praxen mehr und mehr zur Belastung“, konstatiert Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV.

Dies belegt eine Umfrage der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bremen unter ihren Mitgliedern und Medizinischen Fachangestellten (MFA). „Es gibt Tage, da haben unsere MFA Angst in die Praxis zu gehen, da sie befürchten müssen, wieder in verbale Auseinandersetzungen zu geraten“, beklagt ein KV-Mitglied. „Auch ich habe zunehmend das Gefühl, nur noch Wunscherfüller zu sein, und wird dieses nicht durchgeführt, werde auch ich persönlich beschimpft. Ich bin seit 17 Jahren hausärztlich niedergelassen und denke vermehrt über eine Alternative zu diesem Beruf nach.“

Über die Hälfte hat Gewalt erlebt

Gleichzeitig verdeutlicht eine aktuelle Umfrage der Ärztekammer Westfalen-Lippe die alarmierende Situation: Rund 65 Prozent der Befragten gaben an, im ärztlichen Alltag schon mal Gewalt erfahren zu haben. Dabei handelte es sich in rund 90 Prozent der gemeldeten Fälle um verbale Gewalt, in knapp ein Drittel der Fälle sogar oder auch um körperliche Gewalt. Knapp 46 Prozent ereigneten sich im ambulanten Bereich, rund 9 Prozent im Rettungsdienst.

Auch die KBV will mit einer Online-Befragung herausfinden, wie häufig Praxen auf Bundesebene von Anfeindungen und Gewalt betroffen sind.

Bundesjustizminister Marco Buschmann will Hilfs- und Rettungskräfte besser schützen. Foto: IMAGO / Metodi Popow

„Gravierende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens“

„Wer sich in den Dienst unserer Gesellschaft stellt, verdient unseren Schutz“, erklärt Buschmann zu seinem Änderungsvorhaben. „Deshalb werden wir das Strafgesetzbuch anpassen, um Angriffe auf diese Personengruppen künftig noch effektiver sanktionieren zu können. So stärken wir den Schutz für die Menschen, die sich besonders für unsere Gesellschaft und ihre Mitmenschen einsetzen.“

Der Referentenentwurf sieht vor, dass nun der „erhöhte Unrechtsgehalt von Taten, die sich gegen Personen richten, die sich für das Gemeinwohl engagieren" in das Strafmaß einfließt. Gleichzeitig setzen die Änderungen im „Lichte der aktuellen Entwicklungen ein klares Zeichen gegen gemeinwohlschädliche und demokratiefeindliche Straftaten“. Das BMJ will so den „gravierenden Auswirkungen“ nicht nur für die einzelnen Opfer, sondern auch für „die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens“ und „den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ entgegenwirken.

KBV fordert besseren Schutz für Praxen

Die KBV begrüßt grundsätzlich die Intention des Gesetzgebers, hält die Umsetzung aber für „unzureichend“, wie aus der Stellungnahme zum Referentenentwurf hervorgeht. Auch die Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten und deren Mitarbeitende kümmerten sich tagtäglich um die Gesundheit der Menschen im Land und leisteten damit einen wichtigen Beitrag für das Gemeinwesen, erklärt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV.

„Wir fordern daher Herrn Buschmann auf, in dem Gesetzentwurf die Praxen explizit zu erwähnen und ihnen damit ebenfalls strafrechtlichen Schutz bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zukommen zu lassen“, so Gassen weiter. In einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung berichtet Gassen, dass er selbst schon in seiner Praxis erlebt habe, dass ein Patient eine Tür kaputtgetreten hat. „Es braucht in solchen Fällen deutliche und schnelle Strafen. Sonst kommt die Botschaft bei einigen Menschen nicht an. Aber bislang hat so ein asoziales Verhalten null Konsequenzen.“

Durch eine Milchglaswand sieht man mehrere Patienten in einem Wartezimmer sitzen.
Auch Praxen müssen in das geplante Gesetz zum besseren Schutz von Hilfs- und Einsatzkräften einbezogen werden, fordert die KBV. Foto: IMAGO / Metodi Popow

Gewalttendenzen verstärken Fachkräftemangel

Dort, wo für das Gemeinwohl tätige Personen zum Ziel von Aggressionen und Angriffen werden, heißt es im Gesetzesentwurf, stehe zu befürchten, „dass sie sich von solchen Tätigkeiten zurückziehen und auch andere Personen vor einem solchen Engagement zurückschrecken“.

Dass diese Befürchtungen schon bittere Realität sind, belegt die Aussage des KV-Mitglieds aus Bremen. KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner bekräftigt, dass sich diese Entwicklung inzwischen auch auf die Attraktivität des Berufes der MFA negativ auswirke. Dass der Ton und der Umgang miteinander in der Gesellschaft rauer und aggressiver würden, bekämen die MFA – ob am Telefon oder bei der Anmeldung – häufig als erste zu spüren.

In einer Praxis stehen am Tresen vier wartenden Patienten während die MFA telefoniert. Ein Mann schaut auf seine Armbanduhr, zwei Frauen stützen sich auf den Tresen ab und ein junger Mann schaut zur Seite.
Lange Wartezeiten, abgelehnte Rehaanträge oder nicht lieferbare Medikamente – die Gründe für den zunehmend raueren Ton in den Praxen sind vielfältig. Foto: AdobeStock / Racle Fotodesign

Beschwerden landen oft bei MFA

Wenn beantragte Heilmittel oder Rehamaßnahmen abgelehnt werden, Termine nicht verfügbar sind oder bestimmte Arzneimittel nicht geliefert werden können, würden die Beschwerden leider viel zu oft bei den MFA landen, berichtet Hannelore König, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe e.V. (vmf) im Klartext-Interview. König sieht ebenfalls die Politik in der Pflicht, die Situation in den Praxen zu verbessern: „Gerade die politisch Verantwortlichen sollten ehrlich sein in ihrer Kommunikation und sich schützend vor die Gesundheitsberufe stellen, genauso wie die Arbeitgeber sich vor ihre Teams stellen.“

Der vmf hat im vergangenen Jahr eine Online-Umfrage zu dem Thema gestartet, auch hier ist die Datenlage erschreckend. Von den rund 3.500 deutschlandweit befragten MFA haben 9 Prozent geantwortet, dass sie in den vergangenen Jahren häufig Erfahrungen mit Gewalt am Arbeitsplatz gemacht haben. 24 Prozent gaben „einige Male“ an und 21 Prozent „selten“.

 

KBV-Chef Dr. Andreas Gassen hat selbst schon einmal Gewalt in der eigenen Praxis erlebt. Foto: axentis

Verschärfung auch für Gewalt in Praxen?

Nach den Äußerungen des KBV-Chefs haben sowohl Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach als auch Buschmann die Dringlichkeit des Themas erkannt. Lauterbach kündigte auf X (ehemals Twitter) an, gemeinsam mit Buschmann an einer Strafverschärfung zu arbeiten. Welche Verschärfung damit konkret gemeint sei, ließ er allerdings offen. Auch Buschmann reagierte auf die Forderungen der KBV und erklärte, eine Anpassung seiner geplanten Strafrechtsreform prüfen zu wollen.

Im Rahmen eines persönlichen Gesprächs tauschten sich der Bundesjustizminister und der KBV-Chef am 20. August zu dem Thema aus. Beide sind sich einig, dass es besonders wichtig ist, dass niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bei solchen Gewalterfahrungen der konsequenten Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Vollzugsorgane vertrauen können. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass die Strafverfolgungsbehörden bundesweit gleich agieren, wenn seitens der Praxen Fälle von erfahrener oder angedrohter Gewalt zur Anzeige gebracht werden.

Hierbei bedarf es einer evidenten Faktengrundlage zur Strafverfolgungspraxis. Daher haben der Bundesjustizminister und der Vorstandsvorsitzende der KBV vereinbart, das Phänomen näher zu untersuchen. Hierzu will die KBV eine wissenschaftlich basierte Umfrage in den Praxen starten. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für Beratungen des Bundesjustizministers mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Bundesländer mit dem Ziel eines einheitlichen Vorgehens, um Praxen wirkungsvoll zu schützen.

 

Anna Michel

Die KBV hat eine Online-Umfrage zu dem Thema gestartet, an der Niedergelassene und ihre Praxisteams bis zum 2. September teilnehmen können. Mit der Befragung will die KBV herausfinden, wie häufig Praxen auf Bundesebene von Anfeindungen und Gewalt betroffen sind.