Im Fokus
18.07.2024
Podiumsdiskussion beim Jubiläumsfest der kv.digital
Digitalisierung muss funktionieren
Wie kann die Digitalisierung von einem bloßen Werkzeug zu einem essenziellen Element einer modernen, effizienten und patientenorientierten Gesundheitsversorgung werden? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion, die im Rahmen der Jubiläumsfeier zum 10-jährigen Bestehen der kv.digital stattfand. Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen diskutierten dabei über die Herausforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung in der ambulanten Gesundheitsversorgung.
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), betonte in seiner Keynote, dass digitale Prozesse die Arbeit in den Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte erleichtern müssen. „Nur dann kann die Digitalisierung zu effizienteren Prozessen, einer besseren Kommunikation und einer patientenzentrierten Versorgung beitragen.“ In den Praxen stehe die Patientenversorgung im Mittelpunkt, und alles, was digitalisiert wird, müsse diese Arbeit unterstützen und nicht verkomplizieren, forderte Hofmeister. Dies sei eine grundlegende Voraussetzung, damit die Praxen bereit sind, digitale Verbesserungen zu akzeptieren – vorausgesetzt, sie funktionieren auch in der Praxis.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche digitale Lösung in der Praxis brachte die niedergelassene Internistin Dr. Irmgard Landgraf in die Podiumsdiskussion ein. Sie berichtete, dass der von der kv.digital zur Verfügung gestellte Kommunikationsdienst KV-Connect die tägliche Arbeit erheblich erleichtert habe. Früher mussten Ärztinnen und Ärzte Datenträger oder Stapel von Dokumenten persönlich zur Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bringen, was oft mit erheblichem Aufwand verbunden war. Mit KV-Connect sei dieser Prozess jedoch digitalisiert und deutlich vereinfacht worden, ohne jemals Probleme zu bereiten. Landgraf erklärte: „Praxen wie unsere, die gemerkt haben, da ist etwas, das erleichtert uns sofort den Alltag, da waren auch die Mitarbeiter mehr dabei, sich weitere digitale Unterstützung zu holen, weil das tatsächlich super funktioniert hat.“ Im Gegensatz dazu habe die Telematikinfrastruktur (TI) nicht immer reibungslos funktioniert, was die Akzeptanz erschwere.
kv.digital
Die kv.digital GmbH wurde 2014 als 100-prozentige Tochtergesellschaft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gegründet. Seitdem treibt die kv.digital mit heute über 80 Kolleginnen und Kollegen die Digitalisierung in der ambulanten Gesundheitsversorgung voran. Für die KBV, Kassenärztliche Vereinigungen und für ihre Mitglieder ist sie zentraler Ansprechpartner, Kompetenzzentrum und Innovationsplattform bei der Umsetzung digitaler Lösungen.
Austausch zwischen Praxen und Industrie wichtig
Die Forderung nach funktionsfähiger Digitaltechnik wurde auch von Dr. Philipp Stachwitz, Leiter des Stabsbereichs Digitalisierung der KBV, Anästhesist und Schmerztherapeut, unterstrichen. Niemand stellt sich heute die Frage, ob Digitalisierung notwendig ist, „aber es muss funktionieren“. Er betonte, dass Ärztinnen und Ärzte großes Interesse an digitalen Lösungen hätten und forderte, dass sie aktiv mitwirken, um der Industrie zu verdeutlichen, was in der ambulanten Versorgung wirklich benötigt wird. „Dankenswerterweise arbeitet die kv.digital eng mit der Industrie zusammen, bei der die Praxen digitale Lösungen kaufen. Ich glaube, das ist eine sehr verdienstvolle Tätigkeit, sozusagen den Herstellern zu übersetzen, was Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung wirklich brauchen“, so Stachwitz weiter. Die Rahmenvereinbarung der KBV mit den Herstellern von Praxisverwaltungssystemen (PVS) sei zudem ein Schritt in die richtige Richtung. Für Ärztinnen und Ärzte wäre mehr Transparenz für den Support der PVS hilfreich, machte Stachwitz deutlich.
Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr interessiert und möchten aktiv etwas verändern. Es ist wichtig, dass wir ihnen entsprechende Angebote machen.
Dr. Christiane Wessel (stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin)
kv.digital ein wertvoller Partner
Dr. Florian Hartge, dem Geschäftsführer der gematik, ist bewusst, dass digitale Werkzeuge so gut sein müssen, dass Ärztinnen und Ärzte damit problemlos arbeiten können. Bezogen auf die PVS erklärte er: „Unser Erleben ist natürlich, dass das eine sehr unterschiedliche Landschaft ist.“ Dieses Bild spiegle sich auch in Modellregionen wider. Um die Zusammenarbeit und Kompatibilität der verschiedenen Systeme zu fördern, biete die gematik Plattformen an, auf denen die Industrie ihre Lösungen testen und gemeinsam weiterentwickeln könne. „Ich persönlich glaube, dass die kv.digital natürlich mitgeholfen hat, ein Bewusstsein zu schaffen, Diskussionen zu führen, mit den Ärztinnen und Ärzten zu sprechen, aus dem KV-System heraus Ideen einzubringen und Dinge zu verbessern und deswegen auch ein wertvoller Partner im Bereich der Digitalisierung der ambulanten Ärzteschaft ist“, sagte er. Hartge betonte, dass grundsätzliche Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Systeme gestellt werden müssen, damit diese zuverlässig funktionieren.
Großes Interesse vonseiten der Niedergelassenen
Für funktionierende Anwendungen sprach sich auch Dr. Christiane Wessel, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Berlin und niedergelassene Gynäkologin, aus. Die Kassenärztlichen Vereinigungen seien oft die ersten, die den Frust aus den Praxen zu spüren bekämen, zum Beispiel bei Ausfällen der TI. Obwohl das elektronische Rezept (eRezept) besser funktioniere, seien viele Patientinnen und Patienten oft unwissend. Wessel forderte daher eine stärkere Bekanntmachung, um die Patientinnen und Patienten besser zu informieren. Sie wies zudem auf das DEMO-Projekt der KV Berlin hin. Hier bietet die KV Berlin Praxen und ihren Teams die Gelegenheit, die verschiedenen digitalen Möglichkeiten kennenzulernen. Es zeige deutlich das große Interesse der Ärztinnen und Ärzte an der Digitalisierung. „Die Kolleginnen und Kollegen sind sehr interessiert und möchten aktiv etwas verändern. Es ist wichtig, dass wir ihnen entsprechende Angebote machen“, betonte Wessel.
Niemand stellt sich heute die Frage, ob Digitalisierung notwendig ist, aber es muss funktionieren.
Dr. Philipp Stachwitz (Leiter des Stabsbereichs Digitalisierung der KBV)
Nutzerinnen und Nutzer in den Fokus rücken
Die Wichtigkeit des Nutzererlebnisses für die Digitalisierung im Gesundheitswesen hob Sebastian Zilch, Unterabteilungsleiter für gematik, TI und E-Health beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG), hervor. „Und da möchte ich auch ganz deutlich dafür werben, sich nochmal die Digitalisierungsstrategie anzuschauen, wo wir sehr deutlich skizziert haben: Das Nutzerinnen- und Nutzererlebnis ist relevant.“ Sowohl die Patientinnen und Patienten leiden darunter, wenn ihre Dateien nicht verfügbar sind, als auch die Ärztinnen und Ärzte, deren Systeme ständig abstürzen. Beide Perspektiven seien wichtig und müssten zusammengeführt werden.
Zilch machte auch auf die wichtige Rolle der medizinischen Fachangestellten (MFA) in diesem Prozess aufmerksam. „Die Digi-Managerin, das ist ein Projekt, das auch das BMG fördert, weil wir da einen großen Mehrwert sehen. Alle, die diese Systeme nutzen, müssen wissen, wie sie damit umgehen, Digitalkompetenz aufbauen und als Multiplikatoren fungieren können.“
Er erläuterte weiter, dass Primärsysteme eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Digitalisierung spielen, was in den jüngsten Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt wurde. Viele Instrumente wurden entwickelt, die besonders im Bereich Interoperabilität ansetzen und den von den Herstellern geforderten Wettbewerb unterstützen. Es wurde ein Rechtsanspruch auf die Herausgabe personenbezogener Gesundheitsdaten durch die Hersteller festgelegt, den Arztpraxen auch an die KVen übertragen können. „Wir sind natürlich gespannt, wie sowas umgesetzt wird“, fügte Zilch hinzu.
Erfahrungen aus Modellregionen für ePA-Einführung wichtig
„Bitte benutzen Sie die ePA für alle, sobald sie da ist!“ Zilch rief dazu auf, die elektronische Patientenakte (ePA) ab ihrer Einführung am 15. Januar 2025 zu nutzen. Sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen, um zu verstehen, wie die ePA in die eigenen Praxisabläufe integriert werden kann, sei äußerst wichtig. Parallel zur Einführung sollen erste Erfahrungen gesammelt werden. Die Einführung der ePA beginne in den TI-Modellregionen Hamburg und Franken. In diesen Regionen werde genau beobachtet, welche Prozesse erfolgreich ablaufen und wo Herausforderungen bestehen. Dabei werden notwendige Anpassungen vorgenommen und Informationsdefizite ermittelt. Die gematik werde in diesem Prozess intensiv im Austausch mit den Modellregionen stehen, die von Ärztenetzen getragen werden. Dadurch werde die ärztliche Expertise von Anfang an eingebunden sein. „Natürlich müssen die Ärztinnen und Ärzte in dieser Phase mit begleitet und auch die Rückmeldungen ernst genommen werden.“ Sebastian Zilch betonte abschließend nochmals die Wichtigkeit von Kooperation und Zusammenarbeit, um die Digitalisierung weiter zu verbessern.
Josephine Röwekamp