19.12.2022

Bürokratieindex 2022

Digitalisierung in Arztpraxen: Die eAU kostet wertvolle Zeit

Das Foto zeigt eine Ärztin, die etwas in eine Computer-Tastatur tippt.
Digitale Anwendungen sollen die Versorgung im Praxisalltag erleichtern und mehr ärztliche Behandlungszeit schaffen. Die eAU produziert derzeit noch einen zusätzlichen Zeitaufwand von 1,25 Millionen Stunden im Jahr – das muss besser werden. Foto: iStock / Ivan-balvan

Sie soll den Arbeitsalltag vertragsärztlicher Praxen erleichtern: die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Nach aktuellen Ergebnissen des Bürokratieindex (BIX) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) verursacht die digitale Anwendung derzeit aber in erster Linie mehr bürokratischen Aufwand.

1,25 Millionen Stunden – so viel Zeit kostet das neue Verfahren der eAU niedergelassene Ärztinnen und Ärzte pro Jahr. „Anstatt also die Praxen zu entlasten, hat die bisherige Digitalisierungspolitik die Praxen bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweislich noch weiter belastet“, kommentierte Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV, das Ergebnis.  

Das Foto zeigt Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Dr. Thomas Kriedel, KBV-Vorstandsmitglied, bei der Vorstellung des BIX: „Eine stabil funktionierende Telematik-Infrastruktur und die vollumfängliche Erprobung von Anwendungen vor dem Praxis-Einsatz sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine gelungene Digitalisierung.“ Foto: KBV/Zoom

Digitale Signatur und Übertragung verlangsamen Prozess

Ein wesentlicher Grund für den bürokratischen Mehraufwand durch die eAU ist die lange Dauer des elektronischen Signier- und Versandvorgangs. Bei fehlgeschlagenem Digitalversand verursacht das Ausstellen der papiergebundenen Ersatzbescheinigung zusätzliche Arbeit. „Pro Fall verursacht das digitale Verfahren der eAU aktuell 50 Sekunden mehr bürokratischen Aufwand als die papiergebundene Bescheinigung“, erklärte Professor Volker Wittberg von der FHM, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau.

Professor Volker Wittberg, FHM, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau, beim Pressegespräch der KBV. Die FHM erarbeitete die quantitative Datenerhebung. Foto: KBV/Zoom

Im Jahr wird in Deutschland etwa 90 Millionen Mal eine AU ausgestellt. Für Arztpraxen summiert sich der zusätzliche Aufwand durch die eAU auf 1,25 Millionen Stunden zusätzliche Bürokratie jährlich. Kriedel warnte davor, dass die Digitalisierung in der ambulanten Versorgung nicht auf Kosten der ärztlichen Behandlungszeit gehen dürfe. „Es geht darum, die medizinische Versorgung für die Menschen in Deutschland zu sichern und – wo möglich – zu verbessern“, sagte er. „Eine Digitalisierung, die diese Zeit nicht nur nicht erhöht, sondern sogar reduziert, ist somit kontraproduktiv und fehlgeleitet“, stellte Kriedel fest.

Grafik mit aktuellen Ergebnissen des Bürokratieindex. Demnach dauert das digitale Verfahren der eAU im Vergleich zur Papiervariante pro Vorgang 50 Sekunden länger.
50 Sekunden länger pro Vorgang dauert das digitale Verfahren der eAU im Vergleich zur Papiervariante. Quelle: KBV

Wunsch nach Kontaktoption bei technischen Problemen

Die wichtigste Voraussetzung für den Einsatz digitaler Massenanwendungen in Praxen sei eine stabil funktionierende Telematik-Infrastruktur. Die Fehlerhäufigkeit müsse dringend gesenkt werden. Kriedel erklärte, dass dies durch die gematik sichergestellt werden müsse. „Es muss beispielsweise festgelegt werden, was ein leistungsfähiger Signaturvorgang ist und welche diesbezüglichen Funktionalitäten die beteiligten Systeme bieten müssen“, forderte das KBV-Vorstandsmitglied. In jedem Fall müssten Anwendungen vollumfänglich erprobt werden, bevor sie in die Massenanwendung gingen, resümierte er.

Dr. Bernhard Gibis, Leiter des KBV-Dezernats Sicherstellung und Versorgungsstruktur, beim KBV-Pressegespräch: Vertragsärztinnen- und ärzte wünschten sich eine Kontaktperson im Falle von Fehlern bei der Übertragung der eAU. Foto: KBV/Zoom

Ärztinnen und Ärzte wünschten sich eine Beschleunigung des digitalen Signier- und Versandvorgangs und eine Reduzierung von technischen Fehlern. „Daneben wurde vielfach der Wunsch geäußert, eine zuverlässige Kontaktmöglichkeit bei Problemfällen zu haben“, erklärte Dr. Bernhard Gibis, Leiter des Dezernats Sicherstellung und Versorgungsstruktur der KBV. Aufgrund der vielen eingesetzten Komponenten sei es häufig unklar, wo der Fehler genau liege und wer dafür zuständig sei, so Gibis.

Seit 2016 veröffentlicht die KBV gemeinsam mit der FHM den Bürokratieindex (BIX). Der BIX stellt die Bürokratiebelastung in der vertragsärztlichen Versorgung transparent dar. In der aktuellen Studie wurde untersucht, welche Auswirkungen die Umstellung von der papierbasierten Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit hin zum elektronischen Verfahren (eAU) auf die Bürokratiebelastung der vertragsärztlichen Praxen hat. Anhand eines Fragebogens fand von April bis Mai 2022 eine telefonische Befragung vertragsärztlicher Praxen statt. Die Ergebnisse wurden im Rahmen von zwei Fokusgruppeninterviews mit Niedergelassenen validiert.

Katharina Lenz