30.04.2021

Die Erfolgsgeschichte des Impfens

Die Illustration zeigt Louis Pasteur. Er betrachtet prüfend einen Glaskolben in seiner Hand.
Louis Pasteur lieferte 1864 mit der Keimtheorie eine Erklärung für die Entstehung von Seuchen. Illustration: Adobe Stock / Mario Breda

Heute stehen uns eine Vielzahl an wirksamen und sicheren Impfstoffen gegen Krankheiten zur Verfügung. In vergangenen Jahrhunderten sah dies ganz anders aus.

Die moderne Geschichte der Immunisierung begann im 18. Jahrhundert. Mit der Entdeckung der Pocken-Impfung nahm die Forschung der Impfstoffe rasant Fahrt auf. Schlag auf Schlag kamen dann im 19. und 20. Jahrhundert erfolgreiche Impfungen gegen Infektionskrankheiten hinzu.

Die Geschichte der Immunisierung geht weit zurück. Bereits 1500 vor Christus versuchten sich Menschen aus Asien und Europa gegen die Krankheit der Pocken (Blattern) zu immunisieren. Dafür übertrugen Menschen in Indien den Bläscheninhalt der Pocken von leicht erkrankten auf gesunde Menschen. Die gesunden Menschen erkrankten daraufhin nur leicht und waren für ihr weiteres Leben vor der Krankheit geschützt. Dieses Verfahren wurde Inokulation genannt, später etablierte sich der Begriff Variolation. Anders als beim Impfen werden hier die tatsächlichen, nicht abgeschwächten oder inaktivierten Krankheitserreger verabreicht. In anderen Ländern, wie China, Zentralafrika oder in Südeuropa, wurden ähnliche Verfahren praktiziert. Beispielsweise entfernten chinesische Ärzte Krustenstücke der Pocken von Infizierten und zermahlten diese zu einem Pulver. Dieses verabreichten sie dann als Schnupfmittel.

Von der Variolation zur Vakzination

Anfang des 18. Jahrhunderts wurde die Variolation der Pocken auch in Europa bekannt. Mary Wortley Montagu, die Ehefrau des britischen Botschafters am Hof in Istanbul, beobachtete, wie Menschen inokuliert wurden, und ließ daraufhin die Methode bei ihren eigenen Kindern anwenden. Nach ihrer Rückkehr nach England berichtete sie dortigen Ärzten von dem Verfahren und gewann sie dafür, die Methode auch anzuwenden.

Zu einem wesentlichen Fortschritt kam es Ende des 18. Jahrhunderts durch den englischen Landarzt Edward Jenner. Dieser fand heraus, dass Menschen, die sich mit den Kuhpocken infiziert hatten, nicht mehr an den Pocken erkrankten. Kuhpocken verursachen bei Menschen nur einen leichten Verlauf der Krankheit. Um seine Vermutung zu belegen, übertrug er das Pustel-Sekret von einer an Kuhpocken erkrankten Frau auf einen achtjährigen Jungen. Nach überstandener Erkrankung steckte er den Jungen mit den echten Pocken an. Seine Vermutung bestätigte sich: Der Junge blieb gesund. Jenner veröffentlichte die Ergebnisse wissenschaftlich und nannte die Methode aufgrund des Erregers der Kuh Vakzination (von Vacca, lateinisch die Kuh). Die Vakzination begründete die Methoden der aktiven Immunisierungen, bei denen das Immunsystem der Geimpften die benötigten Abwehrstoffe bildet. In den folgenden Jahrzehnten setzte sich das Verfahren nach und nach in Europa durch.

Rasante Erfolge

Auf der Grundlage von Jenners Ergebnissen folgten nun Schlag auf Schlag neue Erkenntnisse. Der französische Chemiker Louis Pasteur lieferte 1864 mit der Keimtheorie eine Erklärung für die Entstehung von Seuchen. 1880 entwickelte er einen Impfstoff gegen Cholera bei Hühnern. Aus Berlin kam 1876 die Erfolgsmeldung, dass Robert Koch die bakteriellen Krankheitserreger von Milzbrand nachweisen konnte.

Die wichtigsten Etappen in der Geschichte des Impfens. Grafik: KBV/Lea Hanke

1881 gelang ihm dies auch bei Tuberkulose. Zur gleichen Zeit wies Pasteurs Schüler Émile Roux durch Blutuntersuchungen das aktive Prinzip der Immunabwehr nach. Zusammen mit seinem Schüler entwickelte Roux 1881 einen Impfstoff gegen Milzbrand und 1885 einen gegen Tollwut. Ein weiterer Meilenstein war 1890 die Entdeckung der passiven Immunisierung, die auf den Mediziner Emil von Behring zusammen mit Kollegen zurückzuführen ist. Sie übertrugen dafür Blut von mit Bakterien infizierten Tieren, die bereits Antikörper gebildet haben, auf gesunde Tiere. Dies führte durch die Übertragung auch der gebildeten Antikörper dazu, dass die gesunden Tiere für eine begrenzte Zeit einen Schutz gegen den Erreger hatten, ohne dass ihr Organismus selbst die Abwehrstoffe (Antikörper) entwickelte. Gemeinsam mit dem Mediziner Paul Ehrlich und dem Japaner Shibasaburo Kitasato entwickelten Behring und seine Kollegen Impfstoffe gegen Diphtherie und Wundstarrkrampf.

Erste Impfprogramme und -pflichten

Ab Ende des 19. Jahrhunderts begannen mit der Standardisierung von Impfstoffen die ersten nationalen Impfprogramme. Den Anfang machte eine Impfpflicht gegen die Pocken, die am 8. April 1874 im deutschen Reich eingeführt worden ist. Diese flächendeckende und kontinuierliche Durchimpfung der gesamten Bevölkerung folgte aufgrund des großen Pockenausbruches von 1870, bei der allein in Deutschland eine Viertelmillion Menschen starben. Das Reichsimpfgesetz bestimmte, dass Kinder im Alter von einem Jahr erstmals, und mit zwölf Jahren ein zweites Mal geimpft werden müssten. Bei Nichtbefolgung drohten Geld- und Haftstrafen. Die umfassende Durchimpfung der Bevölkerung führte zu einem drastischen Rückgang der Pockenerkrankungen. In England wurden schon 1867 gesetzliche Pflichtimpfungen implementiert. Während England die Maßnahme nach einiger Zeit wieder lockerte, blieb der Impfzwang im Deutschen Reich bestehen. Erst als 1930 durch verunreinigten Tuberkulose-Impfstoff 77 Kinder starben („Lübecker Impfunglück“), wurden staatliche Impfprogramme öffentlich diskutiert. Es folgten Gerichtsprozesse, die den Anfang des modernen Medizinrechts bildeten.

Edward Jenner entwickelte die moderne Schutzimpfung gegen Pocken. Illustration: Adobe Stock / Mario Breda

Impfgegner – kein modernes Phänomen

Die Nebenwirkungen, die bei den damaligen Impfungen viel ausgeprägter waren und zum Teil sogar tödlich verliefen, sowie die Impfpflicht im Allgemeinen führten dazu, dass sich eine Impfgegnerschaft entwickelte. Sie sahen in der Impfpflicht einen unzulässigen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen. Bereits fünf Jahre vor der Einführung der Impfpflicht, also 1869, wurden in Leipzig und Stuttgart erste Impfgegner-Organisationen gegründet. Bald folgte auch die Gründung des Reichsverbandes zur Bekämpfung der Impfpflicht. Der Verband verzeichnete um die 300.000 Mitglieder. Unter ihnen fanden sich neben einzelnen Ärzten auch viele Anhänger der sogenannten Lebensreform-Bewegung. Diese Bewegung zielt auf eine Rückkehr zum Naturzustand und verwendet daher nur natürliche Mittel zur Optimierung des Körpers, wie etwa Sonne oder spezielle vegetarische Ernährungsformen. Für sie waren Impfungen nichts Natürliches, sondern etwas Künstliches, Chemisches, was dem Körper eingespritzt wird. Diese Argumente lassen sich auch noch heute bei Impfgegnern in der Bundesrepublik wiederfinden.

Vielzahl an Impfstoffen

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurden systematisch zahlreiche weitere Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten entwickelt. So folgten Impfstoffe gegen Tetanus und Keuchhusten (1926), gegen Gelbfieber und Influenza (Grippe) (1936) und gegen Kinderlähmung (1955 beziehungsweise 1961). In den 1960er-Jahren wurden dann in Deutschland die Impfstoffe gegen Masern, Mumps und Röteln verfügbar. Ungeklärt blieb bis ins 20. Jahrhundert jedoch, warum sich nicht bei allen Infektionskrankheiten Bakterien als Krankheitsursache finden lassen. Der US-Amerikaner Wendell M. Stanley löste das Rätsel, indem er unter dem Lichtmikroskop an kranken Tabakpflanzen kleine kristallnadelartige Gebilde entdeckte, die er Virus (lateinisch Gift) nannte. Mithilfe des 1940 entwickelten Elektronenmikroskops ließen sich auch menschliche Viren erkennen und erforschen. Dies ermöglichte die Entwicklung entsprechender Impfstoffe.

Unter der Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden seit 1967 weltweite Impfprogramme durchgeführt. Durch ihre Bemühungen konnten die Pocken 1980 – innerhalb von nur zehn Jahren – weltweit ausgerottet werden. In Deutschland wurde im Jahr 1972 das Bundesamt für Sera und Impfstoffe, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ins Leben gerufen, um die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Impfstoffen in Deutschland zu prüfen. 2009 wurde das Institut in das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel umbenannt. Die Ständige Impfkommission (STIKO) wurde ebenso 1972 gegründet. Sie erarbeitet Impfempfehlungen für Deutschland und prüft und aktualisiert diese regelmäßig.

Robert Koch lieferte 1876 den Nachweis der bakteriellen Krankheitserreger von Milzbrand. Illustration: Adobe Stock / Mario Breda

Impfungen heute

Seit 1980 sind zahlreiche weitere Impfstoffe entwickelt worden, wie beispielsweise gegen Hepatitis B, Pneumokokken oder Windpocken. Die heute verwendeten Impfseren werden in hoch technisierten Laboren hergestellt und enthalten exakt dosierte Mengen eines Erregers. Durch den Einsatz abgeschwächter und inaktiver Erreger oder nur einzelner Bestandteile der Keime sind moderne Impfstoffe so wirksam und risikoarm wie noch nie zuvor. Gegen eine ganze Reihe gefährlicher Krankheiten, wie beispielsweise HIV oder Malaria, gibt es noch keine wirksamen Impfungen. Wissenschaftler arbeiten daran, diese herzustellen. Zurzeit werden neue gentechnische Verfahren genutzt, wie beispielsweise der mRNA-Impfstoff von BioNTech/Pfizer gegen das Corona-Virus. mRNA-Impfstoffe basieren auf Boten-Ribonukleinsäure (mRNA). Die mRNA liefert die genetische Information – gewissermaßen die Bauanleitung – zur Produktion von Antigenen im Körper, gegen die dieser dann die entsprechenden Antikörper bildet.

Lea Hanke

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