14.11.2022

Gesundheit anderswo

Österreich: Pflichtkasse trifft auf Wahlarztpraxis

Das Foto zeigt die Hofburg zu Wien: Amtssitz des Österreichischen Bundespräsidenten.
Österreichs Regierung setzt auf eine digitale Patientenakte und will die Gesundheitsprävention seiner Bürgerinnen und Bürger weiter fördern. Foto: Adobe Stock / Tryfonov

Das Gesundheitssystem unseres Nachbarlandes Österreich ähnelt dem deutschen in vielerlei Hinsicht. Es gibt jedoch einige markante Unterschiede. Diese reichen von der Organisation der Versicherten in einer Krankenkasse bis hin zur mittlerweile etablierten digitalen Patientenakte.

 

Das österreichische Sozialversicherungs-System fußt auf der Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung), dem Solidaritätsprinzip und der Selbstverwaltung. Laut Angaben des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sind nahezu alle in Österreich lebenden oder arbeitenden Menschen gesetzlich krankenversichert. Die Gesundheitsversorgung wird öffentlich organisiert. Dabei sind wie in Deutschland die Zuständigkeiten der einzelnen Behörden gesetzlich geregelt. Der Bund ist für die Gesetzgebung und deren Vollzug zuständig. Die neun Länder übernehmen Aufgaben im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung, sind aber auch für die Sicherstellung der Spitalversorgung (österreichisch für Krankenhaus) verantwortlich. Für die Umsetzung der Krankenversicherung ist die Sozialversicherung zuständig.

Das Solidaritätsprinzip ermöglicht allen Versicherten prinzipiell den gleichen Zugang zu Gesundheitsleistungen. Versicherungsbeiträge finanzieren das österreichische Gesundheitssystem zum größten Teil. Im Rahmen der Strukturreform Sozialversicherung wurde die Anzahl der Sozialversicherungsträger im Jahr 2020 auf fünf reduziert.

Das Foto zeigt den Eingangsbereich der Österreichischen Gesundheitskasse.
Im Rahmen der Strukturreform Sozialversicherung wurden 2020 die neun regionalen Gebietskrankenkassen zu einem Träger, der Österreichischen Gesundheitskasse, zusammengeführt. Foto: IMAGO / CHROMORANGE

Reform des Krankenversicherungs-Systems

Anders als in Deutschland ist die Versicherung bei einer österreichischen Krankenkasse nicht frei wählbar. Welche Kasse für eine versicherte Person zuständig ist, ergibt sich aus der Art und dem Ort ihrer Beschäftigung. Durch dieses Prinzip entsteht kein Wettbewerb zwischen den Kassen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind automatisch in einer bestimmten Gebietskrankenkasse versichert. Die neun regionalen Gebietskrankenkassen wurden innerhalb der Strukturreform Sozialversicherung 2020 zu einem Träger, der Österreichischen Gesundheitskasse, zusammengeführt. Diese deckt rund 82 Prozent aller versicherten Bürgerinnen und Bürger ab. Selbstständige, in der Landwirtschaft Tätige, Beamtinnen und Beamte sowie Beschäftigte der Bahn sind über zwei Sonderversicherungsträger versichert. Diese Praxis führt teilweise zu Mehrfachversicherungen, was bisweilen kritisch betrachtet wird. Die Höhe der Beiträge richtet sich, bis zu einer bestimmten Grenze, nach dem Einkommen, unabhängig vom individuellen Erkrankungsrisiko. Bei nicht selbstständig Tätigen teilen sich Arbeitnehmerinnen beziehungsweise Arbeitnehmer und die Arbeitgeber den Beitrag zu fast gleichen Teilen, Angehörige werden in der Regel beitragsfrei mitversichert.

Private Krankenversicherungen wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht, dafür aber freiwillige private Zusatzversicherungen. Diese decken ein Leistungsspektrum ab, welches über die Versorgung der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgeht. Als Zusatzleistungen zählen beispielsweise eine Komfort-Unterbringung im Krankenhaus oder die Übernahme spezifischer Behandlungskosten.

Das Foto zeigt das Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH).
Das Allgemeine Krankenhaus Wien (AKH) ist Universitätsklinikum mit angeschlossenem Medizincampus der Medizinischen Universität Wien und größtes Krankenhaus Österreichs. Foto: Adobe Stock / visualpower

Ambulante Versorgung: Kassen- oder Wahlarztpraxen?

Grundsätzlich können Versicherte ihre Ärztin oder ihren Arzt frei wählen. In der Primär- und fachärztlichen Versorgung gibt es drei Optionen: eine Behandlung bei Kassen-, Privat- oder Wahlärztinnen und -ärzten. Kassenärztinnen und -ärzte schließen mit den Krankenversicherungsträgern einen Vertrag ab – so sind die Kosten einer Behandlung im Rahmen einer vertraglich festgelegten Leistung von der jeweiligen Kasse abgedeckt. Die Ärztin oder der Arzt rechnet die Kosten immer direkt mit der Krankenkasse ab. Mit dem Abschluss eines solchen Vertrags sind Ärztinnen und Ärzte an vorgegebene Richtlinien, etwa Praxisöffnungszeiten, gebunden. Wahlarztpraxen werden von Ärztinnen und Ärzten ohne Kassenvertrag geführt. Sucht eine Patientin oder ein Patient eine Wahlarztpraxis auf, muss die Leistung vorerst aus eigener Tasche bezahlt werden. Anschließend reichen Versicherte die Rechnung bei ihrer Krankenkasse ein. Dabei wird aber nur ein Teil der Kosten rückerstattet, die Differenz müssen Patientinnen und Patienten entweder selbst tragen oder durch eine entsprechende private Zusatzversicherung abdecken.

Sogenannte Wahlärztinnen und -ärzte haben keinen Kassensitz und bieten zusätzliche Leistungen, zu den von den Kassen bezahlten, an. Im Jahr 2019 gab es in Österreich rund 7.000 Vertragsärztinnen und -ärzte im Vergleich zu etwa 10.000 Wahlärztinnen und -ärzten. Foto: IMAGO / Eibner Europa

Es ist gesetzlich geregelt, dass 80 Prozent der veranschlagten Kosten, die bei Inanspruchnahme der entsprechenden Vertragspartner des Versicherungsträgers von diesem aufzuwenden gewesen wäre, übernommen werden. Um eine private Wahlarztpraxis zu führen, brauchen Medizinerinnen und Mediziner keine Zulassung durch eine Behörde. Es muss sich auch nicht an vorgegebene Richtlinien gehalten werden und das Honorar wird frei festlegt. Wahlärztinnen und -ärzte erbringen zusätzlich Leistungen, die nicht in den Gebührenkatalogen der Krankenkassen enthalten sind. Darüber hinaus gibt es keine Bindung an die Vergabe eines Arztsitzes, Öffnungszeiten oder ein bestimmtes Leistungsspektrum. Wahlärztinnen und -ärzte müssen der Ärztekammer lediglich den Praxisstandort und den Beginn ihrer Tätigkeit melden – genehmigt werden müssen diese nicht. Kassenärztinnen und -ärzte können auch parallel als Wahlärztin oder -arzt in den gleichen Räumlichkeiten praktizieren.

Schwerpunkt stationäre Gesundheitsversorgung

Die Behandlung von Patientinnen und Patienten funktioniert in Österreich, wie auch in Deutschland, als duales System der ambulanten und stationären Versorgung. Die Zahl praktizierender Ärztinnen und Ärzte war 2021 mit 5,3 pro 1000 Einwohner und Einwohnerinnen sehr hoch, wovon 35 Prozent allgemeinmedizinisch tätig waren. Das österreichische Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz schätzte im Jahr 2019, dass 2025 bis zu 60 Prozent aller österreichischen Vertragsärztinnen und -ärzte für Allgemeinmedizin das Rentenalter erreichen, was die ambulante Gesundheitsversorgung vor große Herausforderungen stellt. Laut einem Artikel der österreichischen Tageszeitung Der Standard arbeiten bereits seit Jahren viele Ärztinnen und Ärzte über das 70. Lebensjahr hinaus.

Grafik: KloseDetering, Freepik

Außerhalb der regulären Sprechzeiten organisieren die Niedergelassenen auf regionaler Ebene einen Not- und Bereitschaftsdienst, der unter der Rufnummer 141 zu erreichen ist. Einen weiteren wichtigen Teil der ambulanten Versorgung bilden sogenannte Ambulatorien, die rein rechtlich Krankenhäuser sind. Ihre Ausgestaltung reicht von Arztpraxen über ambulante Behandlungseinrichtungen bis hin zu ambulanten Kliniken mit partiellen operativen Leistungsangeboten.

Die Versorgung in Krankenhäusern hat in Österreich traditionell einen hohen Stellenwert. Es gibt öffentliche, privat-gemeinnützige und private Krankenhäuser, wobei der Schwerpunkt auf den öffentlich finanzierten Spitälern liegt. Geführt werden diese von Landesgesellschaften, Gemeinden, Glaubensgemeinschaften, Sozialversicherungsträgern oder privaten Eigentümern. Aufgeteilt auf neun Bundesländer gab es 2020 insgesamt 264 Kliniken. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die Klinikdichte damit höher als in Deutschland. Auch die Zahl an Gesundheits- und Krankenpflegepersonal ist mit 8,5 pro 1000 Einwohnerinnen und Einwohner hoch.

Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie setzte Österreich 2021 auf eine breit angelegte kostenlose Teststrategie. Für PCR-Tests kamen in Wien sogenannte „Gurgelboxen“ zum Einsatz. Foto: IMAGO / CHROMORANGE

Die hohen Kapazitäten der stationären Versorgung konnten Österreich bisher vor Krankenhausüberlastungen durch das Coronavirus bewahren. Die bis Ende Oktober bestätigte Anzahl von registrierten Covid-19-Fällen liegt in Österreich mit 60.000 je 100.000 Einwohner im Vergleich zu 40.000 je 100.000 Einwohner über dem Niveau Deutschlands, was aber auch mit vermehrten Testungen zusammenhängen könnte. Damit assoziierte Todesfälle sind mit 0,23 Prozent leicht höher als die in Deutschland, die bei 0,17 Prozent liegen. Der Impfstatus der deutschen und der österreichischen Bevölkerung ist mit etwa 60 Prozent mindestens drei Mal Geimpfter ähnlich. Für Aufmerksamkeit sorgten die im Dezember 2020 und Januar 2021 durchgeführten Massentestkampagnen mit kostenlosen PCR- und Antigen-Tests. Für Betroffene von Long Covid wurde zu Beginn dieses Jahres eine Maßnahme zur Identifikation von Versorgungslücken durchgeführt. Das Gesundheitsportal Österreichs stellt Informationen zum Krankheitsbild bereit.

Digitale Patientenakte ELGA

Bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens gehörte Österreich zu den ersten Ländern der EU, die an der Implementierung einer elektronischen Patientenakte (ePA) arbeiteten. Seit 2005 kommt die elektronische Versicherungskarte (eCard) zum Einsatz. Diese dient für Gesundheitsdienstanbieter als Zugangsschlüssel für die Ende 2015 eingeführte elektronische Patientenakte ELGA. Patientinnen und Patienten haben Zugang über ID Austria, Bürgerkarte oder Handysignatur. Die Dokumenten-Austauschplattform ELGA kann mittlerweile in allen Krankenhäusern, Apotheken und niedergelassenen Praxen eingesetzt und durch Patientinnen und Patienten eingesehen werden. Das Portal hat unter anderem Entlassungs-, Labor- und Radiologiebefunde zu bieten, wobei eine Herausforderung in der Bereitstellung interoperabler Dokumente liegt. 2020 wurde der elektronische Impfpass, der ein zentrales digitales Impfregister ermöglicht, eingeführt. Über ELGA ist dieser einsehbar.

Das Foto zeigt Beate Hartinger-Klein, ehemalige Bundesministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz Österreichs.
Als damalige österreichische Gesundheitsministerin setzte Beate Hartinger-Klein die 2019 eingeführte eMedikation als Funktion der digitalen Patientenakte ELGA mit um. Foto: IMAGO / Eibner Europa

Seit Herbst 2019 sind niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, verordnete Medikamente mittels der eMedikation zu speichern. Verschriebene und von Apotheken ausgehändigten Medikamente sowie noch offene Rezepte werden auf einer Liste gespeichert. Diese kann von Patientinnen und Patienten online abgerufen werden und soll helfen, den Überblick zu behalten und Wechselwirkungen sowie Mehrfachverschreibungen zu verhindern. Befunde werden zehn Jahre lang gespeichert und danach gelöscht, Medikationsdaten werden 18 Monate gespeichert. Alle Versicherten nehmen grundsätzlich an der ePA teil, können aber einzelnen Funktionen, wie eMedikation und eBefund, auch widersprechen (Opt-out-Verfahren).

Die Benutzerfreundlichkeit von ELGA ist umstritten, unter anderem weil es keine Suchfunktion gibt. Da Patientinnen und Patienten aus Datenschutzgründen selbst entscheiden, welche Daten einsehbar sind, ist die potenzielle Unvollständigkeit der ePA ein mögliches Problem, das auch in Österreich bislang nicht geklärt ist. Die Handhabung von ELGA, insbesondere im Krankenhaus, verursacht aktuell noch mehr Aufwand. Zu Problemen kann auch fehlerhafte Software führen. So kam es 2021 in einigen Apotheken – vor allem im Raum Wien – zu falschen Dosierungsangaben bei Medikamenten.

Gesundheitliche Chancengleichheit für alle

Die Ausgaben für gesundheitliche Präventionsmaßnahmen liegen in Österreich nach wie vor unter dem europäischen Durchschnitt. Die österreichische Regierung strebt daher weiter das Ziel an, insbesondere für Menschen mit chronischen Erkrankungen, den Zugang zu Präventions- und Informationsangeboten zu verbessern und die Gesundheitskompetenz aller Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen.

Die Gesundheitsziele Österreichs sollen dabei unterstützen, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu fördern. Foto: Gesundheit Österreich GmbH

Bereits 2012 wurden die Gesundheitsziele Österreich definiert. Auf internationaler Ebene sind diese in den Prozess der Sustainable Development Goals der Agenda 2030 der Vereinten Nationen eingebunden. Teil der Gesundheitsziele sind unter anderem die Stärkung der Gesundheitskompetenz, der Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln für alle und die Förderung der psychosozialen Gesundheit der Bevölkerung. Aus der Gesundheitskompetenzmessung der Österreichischen Plattform für Gesundheitskompetenz (ÖPGK) wurden Ende 2021 Empfehlungen zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz in Österreich erarbeitet. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der zielgruppenspezifischen Förderung der Gesundheitskompetenz – auch von Menschen mit Migrationshintergrund. Teil der Umsetzung der Empfehlungen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz sind leicht verständliche, mehrsprachige Gesundheitsinformationen und niederschwellig zugängliche Anlaufstellen.

Das Foto zeigt ein Logo mit der Aufschrift: Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz.

Die gesamtgesellschaftliche Gesundheitskompetenz wirkt sich auf alle aus. Diese zu verbessern ist eines der größten Gesundheitsziele der österreichischen Regierung. Dafür hat sie im Jahr 2014 die ÖPGK eingerichtet. Seit 2019 wird die Gesundheitskompetenz-Befragung der österreichischen Bevölkerung durchgeführt. Auf Basis der Ergebnisse hat die Arbeitsgruppe Gesundheitskompetenz-Messung der ÖPGK Handlungsempfehlungen erarbeitet:

1. Gute Gesundheits-Informationen gestalten und zur Verfügung stellen (qualitätsgesichert und zielgruppenspezifisch)

2. Digitale Gesundheitskompetenz stärken

3. Kommunikative Gesundheitskompetenz im Gesundheitssystem verbessern (z. B. durch Kommunikationstraining)

4. Navigation im Gesundheitssystem erleichtern

5. Gesundheitskompetenz zum Thema Impfen stärken

Sophia Bruderhofer / Katharina Lenz

 

(Dieser Artikel erschien ursprünglich im Dezember 2017. Er wurde aktualisiert und in leicht abgeänderter Form veröffentlicht.)

 

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