Berlin Intern
16.08.2024
Lauterbachs Gesundheitsreformen
Viel hilft viel?
Mit diversen Gesetzesentwürfen will die Bundesregierung das Gesundheitssystem „fit machen“. Doch Klinik-, Notfall-, Apothekenreform & Co. stoßen bei Berufsverbänden und Krankenkassen auf viel Gegenwind. Auch die Vertragsärzte- und psychotherapeutenschaft bleibt misstrauisch – und das bei gleich mehreren Themen.
Mangelnden Tatendrang kann man Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach wahrlich nicht vorwerfen: Über ein halbes Dutzend Gesetzesentwürfe ist derzeit im Umlauf. Einige werden noch als Referentenentwürfe im Kabinett verhandelt, andere warten nach der Sommerpause auf den ersten Durchgang im Bundesrat oder sind schon ein ganzes Stück weiter: im parlamentarischen Verfahren des Deutschen Bundestages.
„Wir müssen das System fit machen für die Zeit, da die Babyboomer älter und kränker werden“, sagte Minister Lauterbach noch Anfang des Jahres in einem Interview mit der Rheinischen Post – und warb für einen ganzen Strauß an Gesetzen, der bald kommen würde. Gut ein halbes Jahr später liegen die meisten der angekündigten Gesetze als Entwurf auf dem Tisch. Die Begeisterung hält sich bei den verschiedenen Gesundheitsprofessionen allerdings in Grenzen.
Entbudgetierung light
Beispiel Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz: Mit dem „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (kurz: GVSG) will Politik unter anderem die „vergleichsweise geringe finanzielle Attraktivität des Hausarztberufes“ verbessern. Eine auch von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) lange geäußerte Forderung könnte damit umgesetzt werden: die Entbudgetierung der Hausärztinnen und -ärzte.
Doch wo Licht ist, ist meist auch Schatten: Zum einen bliebe der fachärztliche Versorgungsbereich weiterhin budgetiert – und damit durchschnittlich zehn Prozent der dort erbrachten Leistungen unbezahlt. Zum anderen soll es laut Regierungsentwurf zu „keinen Mehr- oder Minderausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ kommen. „Das passt nicht zusammen“, moniert der Vorstand der KBV. Die Körperschaft befürchtet zudem, dass die vorgesehenen Chroniker- und Vorhaltepauschalen zu erheblichen Honorarumverteilungen führen könnten.
Ein Systembruch
Und überhaupt scheint man im Ministerium gerne das Heft in die Hand zu nehmen, ohne die Expertise derer einzubeziehen, die das Gesetz am Ende betrifft. So auch beim sogenannten „Gesundes-Herz-Gesetz“ zur Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit einem besonderen Novum: Am Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vorbei wird über Untersuchungsmethoden und Medikamente für die Bevölkerung entschieden.
So sollen durch Rechtsverordnungen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) etwa Früherkennungsmaßnahmen eingeführt werden oder Ärztinnen und Ärzte breiten Bevölkerungsschichten Statine verordnen. „Das ist ein falscher Ansatz“, kritisieren die KBV-Vorstände Dres. Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner. „Evidenz und Wirtschaftlichkeit gelten dann nicht mehr und somit stellt das Gesetz einen radikalen Systembruch dar, der die gesetzlichen Regelungen des Sozialgesetzbuches konterkariert.“
Keine gleich langen Spieße
Nicht weniger einschneidend ist das Mammutprojekt Krankenhausreform. Äußerst langatmig und schwierig gestalten sich die Verhandlungen des Ministers mit seinen Länderkolleginnen und -kollegen. Zwar ist das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig, Kritiker wie der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann könnten es aber über den Vermittlungsausschuss blockieren, wenn es voraussichtlich im November zurück in den Bundesrat geht.
Auch hier lautet die Kritik ähnlich: Prof. Lauterbach ignoriere Verbesserungsvorschläge und wolle das Gesetz allem Gegenwind zum Trotz auf seine Weise durchdrücken. Die KBV sieht in dem Vorhaben gar einen Verstoß gegen das EU-Beihilferecht und hat Klage bei der Europäischen Kommission eingereicht: „Der viel zitierte Wettbewerb der ‚gleich langen Spieße‘ hat leider noch nie stattgefunden“, kritisiert der KBV-Vorstand. Denn: Durch die milliardenschwere Förderung ausschließlich von Krankenhäusern würden die Niedergelassenen benachteiligt – durch Geld, das statt von den Ländern nun sogar von den Beitragszahlern käme.
Ähnlich zerfahren ist die Situation bei der Notfallreform. Der Minister sprach Anfang des Jahres noch davon, die Rettungsstellen entlasten und Hausarztpraxen stärken zu wollen. Für die KBV ist das nach Sichtung des Gesetzesentwurfs aber mitnichten der Fall: So sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zum Betrieb von Eigeneinrichtungen zur Akutversorgung verpflichtet und ein flächendeckender 24/7-Fahrdienst etabliert werden.
„Welche Kolleginnen und Kollegen sollen diese Dienste stemmen?“, wollen Gassen, Hofmeister und Steiner wissen. „Anstatt endlich die Patienten im ärztlichen Bereitschaftsdienst verbindlich zu steuern und die dafür nötigen Finanzmittel bereitzustellen, werden die Kolleginnen und Kollegen mit zusätzlichen Aufgaben belastet.“
Freie Berufe unerwünscht?
Doch nicht nur Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten sind von schlecht gemachten Gesetzesvorhaben betroffen, auch die Zahnärzte- und Apothekerschaften beklagen die Reformpläne des BMG. Der Freie Beruf, so mag man meinen, scheint politisch nicht hoch im Kurs zu stehen. Dabei sind es die ambulant tätigen Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen, Psychotherapeuten, Zahnärztinnen, Zahnärzte, Apothekerinnen, Apotheker und ihre Teams, die einen Großteil der Patientinnen und Patienten in Deutschland versorgen – dezentral, wohnortnah und auf hohem Niveau.
Das haben auch Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), KBV und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Anfang Juni in einer erneuten gemeinsamen Positionierung klargemacht. „Eine flächendeckende zahnärztliche Versorgung, wie es sie bislang gab, ist unter den aktuellen desaströsen politischen Rahmenbedingungen kaum noch zu gewährleisten“, sagte damals KZBV-Vorstandsvorsitzender Martin Hendges.
Und auch die Apotheken trifft es nicht besser: „Seit Jahren befindet sich die Apothekenzahl im Sinkflug und erreicht immer neue Tiefpunkte. Allein im vorigen Jahr sind rund 500 Apotheken weggefallen“, so Mathias Arnold, Vizepräsident der ABDA. Die Probleme der Freien Berufe im Gesundheitswesen sind also nicht unähnlich.
Klar ist: Dem Fachkräftemangel wird man durch undurchdachte Gesetze kaum Herr werden, wenn die Rahmenbedingungen für eine Niederlassung sich dadurch noch weiter verschlechtern. Auch die KBV befürchtet, dass die derzeitigen Reformvorhaben „Gründung, Übernahme und Betrieb einer Praxis noch unattraktiver machen“, wie sie in einem Brief an die Mitglieder des Bundestages schreibt. Deshalb appelliert sie nachdrücklich: „Nach der Sommerpause liegen zahlreiche Entscheidungen darüber mit in Ihren Händen, ob die Praxen auch in Zukunft noch die Menschen in unserem Land so verlässlich versorgen können, wie diese es gewohnt sind.“
Hendrik Schmitz