Bericht aus Brüssel
17.09.2021
#GesundheitBrauchtPraxis
„Die Politik kann immer auf die KBV als Impulsgeberin zählen“
Deutschland hat die Wahl. Und klar ist: Die nächste Regierungskonstellation wird auch Auswirkungen auf die künftige Gesundheitspolitik haben. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist bereit, diese gemeinsam mitzugestalten – worauf es in den nächsten Jahren ankommen wird, hat sie in acht Punkten apostrophiert.
Unter dem Hashtag „#GesundheitBrauchtPraxis“ sind die Positionen der KBV dargelegt. Vom Erhalt der Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung über eine stärkere Ambulantisierung, Verbesserungen bei Weiterbildung und Nachwuchsgewinnung bis hin zur Digitalisierung umfasst das KBV-Papier wichtige Themen, für die langfristige politische Lösungen zum Wohl von Patientinnen und Patienten erforderlich sind. „Gerade in der Corona-Pandemie hat der vertragsärztliche Bereich beständig und zuverlässig die Stellung gehalten und damit signifikant dazu beigetragen, die außergewöhnliche Leistungsfähigkeit und Flexibilität des deutschen Gesundheitswesens zu untermauern“, sagt KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen. „Mit über 1,1 Milliarden Arzt-Patienten-Kontakten pro Jahr in den Praxen sind wir als KBV sachkundige Ansprechpartnerin, um die Verantwortlichen bei den gesundheitspolitischen Herausforderungen der Zukunft zu unterstützen.“
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV ergänzt: „Die Politik kann immer auf die KBV als Impulsgeberin zählen, wenn es um gesundheitspolitische Fragen geht. Die KBV vertritt rund 181.000 freiberufliche, in Praxen ambulant tätige Ärzte und Psychotherapeuten, die sich um über 650 Millionen Behandlungsfälle pro Jahr kümmern. Und als Körperschaft des öffentlichen Rechts haben wir zudem einen gesetzlichen Auftrag, den wir sehr ernst nehmen. Das tun auch alle Kolleginnen und Kollegen in ihren Praxen. Ich bin überzeugt, dass jeder dort seine Aufgabe ernst nimmt.“ Die Aufgabe sei die ambulante medizinische und psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung. „Das haben wir gemacht. Das machen wir. Und das werden wir auch in Zukunft machen.“
Das KBV-Positionspapier auf einen Blick
Schutz der Freiberuflichkeit
Inhaltlich ist das KBV-Papier weit gefächert. Zunächst geht es um den Erhalt des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt beziehungsweise Psychotherapeut und Patient. Ein Grundpfeiler, um dieses Verhältnis zu schützen, ist die freiberufliche Berufsausübung. „Die Freiberuflichkeit ist gerade deshalb so wichtig, weil speziell Ärzte und Psychotherapeuten ausschließlich dem Wohl des Patienten verpflichtet sind.
Sie können nur nach medizinischen Gesichtspunkten und nicht aufgrund wirtschaftlichen Drucks ihre Entscheidungen treffen“, betont Gassen. Nur das klare, uneingeschränkte Bekenntnis zu einer dezentralen, ambulanten Gesundheitsversorgung sichere den Schutz des überaus sensiblen Arzt-Patienten-Verhältnisses. „Und hierfür ist, wie wir es in unserem Positionspapier formuliert haben, eine intakte Selbstverwaltung als freiheitliches Organisationsprinzip maßgeblich.“
System erhalten
Wie groß das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Niedergelassenen und ihre Praxisteams ist, hat die Corona-Pandemie nachhaltig veranschaulicht. Diese Phase könnte wegweisend für das deutsche Gesundheitssystem sein. „Covid-19 hat Schwächen und Stärken unseres Gesundheitswesens gezeigt. Wir müssen hoffen und werden hart dafür arbeiten, dass die richtigen Schlüsse gezogen werden“, konstatiert Hofmeister. Ein Schluss sei auf jeden Fall, dass das ambulante flächendeckende vertragsärztliche und psychotherapeutische Gesundheitswesen in Deutschland hervorragend funktioniert habe.
„Es war krisenstabil. Es hat gehalten. Es hat nicht einmal gewackelt. Es hat die große Zahl derer, die zu versorgen waren, versorgt – neben dem weiterhin laufenden Regelbetrieb. Und die einzige Lehre, die man daraus ziehen kann, ist: Dieses System muss erhalten und gestärkt und nicht geschwächt werden durch administrative und regulative Eingriffe“, so der KBV-Vize.
Auch Vorstandsvorsitzender Gassen erinnert an die bemerkenswerten Leistungen in Pandemie-Zeiten: „13 von 14 Patienten wurden ambulant versorgt. Der Gesundheitsminister hat die ambulante Versorgung daher nicht zu Unrecht als Schutzwall bezeichnet.“ Das gelte im Übrigen nach wie vor. „Im Sinne der Wertschätzung für die Niedergelassenen sollte das auch weiterhin anerkannt werden.“
Feste Preise
Ein Anliegen der KBV ist auch die Stärkung der ambulanten Versorgung. Das Positionspapier weist darauf hin, dass dafür der Ausbau ambulanter Versorgungsangebote bei gleichzeitiger Entlastung der Kliniken von eigentlich ambulant leistbaren Behandlungen erforderlich sei. Die weitere Etablierung von „Konzernstrukturen“ gelte es zu vermeiden. Begleitend müssten unkoordinierte Mengenzunahmen der Leistungen verhindert werden, indem ein neues Honorarsystem entwickelt werde. Gassen: „Dabei geht es selbstverständlich auch um die finanzielle Ausstattung. In unserem Papier sprechen wir uns dafür aus, dass feste Preise für Behandlungen zielführend sind. Das ist der Anspruch, den wir haben.“ Unabhängig von der ärztlichen Vergütung müssten die rapide steigenden Ausgaben der niedergelassenen Praxen für Personal, Hygiene und Digitalisierung kompensiert werden, heißt es in dem Dokument.
Attraktiver für den Nachwuchs
In einem weiteren Aspekt fordert die KBV ein Umdenken bei der Digitalisierung: Sie sollte einen unmittelbaren Mehrwert für die Versorgung der Patientinnen und Patienten bieten. Die Entwicklung von digitalen Anwendungen und Strukturen sollte sich demnach künftig mehr an den Versorgungsprozessen orientieren und den Fokus weniger auf Werkzeuge und Instrumente legen – insgesamt mit einem Weniger an Bürokratie und Technikproblemen. Hofmeister: „Digitalisierung gerne – aber bitte nur da, wo sie erstens gut erprobt funktioniert und zweitens Prozesse verschlankt oder verbessert.“
In Sachen Aus- und Weiterbildung sind die Positionen der KBV ebenfalls eindeutig: Unter anderem sollen die fachärztliche Weiterbildung in den Praxen ausgebaut und die Attraktivität in einer Niederlassung erheblich gesteigert werden. Zudem sollen laut KBV ambulante Ausbildungsanteile im Medizinstudium erhöht werden – zum Beispiel durch eine gezielte Förderung von Famulaturen oder dem Praktischen Jahr.
„Die Weiterbildung in den ambulanten Strukturen muss dringend gefördert werden“, appelliert KBV-Vize Hofmeister an die Politik. „Das gilt auch für die weitere Gestaltung des Medizinstudiums, sodass wir sicher sind, dass auch diejenigen Medizin studieren, die nachher tatsächlich niedergelassen arbeiten wollen.“
Thomas Schmitt