Perspektiven
12.02.2025
Bundestagswahl
Das wollen die Parteien für die ambulante Versorgung

Bürgerversicherung, Primärarztsystem, Gesundheitsregionen: Den Parteien mangelt es vor der Bundestagswahl nicht an Ideen für das Gesundheitssystem. Der „Klartext“ hat sich die Wahlprogramme genauer angeschaut.
Zu den ganz großen Themen im Wahlkampf gehört die Gesundheitsversorgung gewiss nicht. Als „unsexy“ bezeichnete selbst der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die Gesundheitspolitik kürzlich noch im Interview mit Table.Media.
Genug zu tun gäbe es dabei allemal: Die Ärzte- und Psychotherapeutenschaft beklagt mangelnde Wertschätzung und klamme Finanzen, Krankenkassen erhöhen ihre Zusatzbeiträge. Der Ärztemangel macht sich derweil für immer mehr Versicherte bemerkbar, während Politik weiterhin eine „All-Inclusive-Versorgung“ verspricht – bei zum Teil gedeckelten Finanzmitteln.
Knackpunkt Finanzierung
Wie also wollen die Parteien die zahlreichen Baustellen im Bereich Gesundheit angehen? Welche Lösungen schweben ihnen vor? SPD, Bündnis 90/Die Grünen und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ebnen in ihren Wahlprogrammen vor allem den Weg für eine Bürgerversicherung. Laut Sozialdemokraten solle „der Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen gerechter ausgestaltet werden, und auch die Privatversicherungen zum Risikostrukturausgleich beitragen".
Das Ziel sei „ein einheitliches und einfaches Vergütungssystem, das zugleich die Vorhaltekosten der Leistungserbringer absichert". Ähnlich äußert sich Bündnis 90/Die Grünen, die gleichzeitig auch den Einfluss von Finanzinvestoren in der Gesundheits- und Pflegeversorgung begrenzen wollen.
Die Linke spricht zwar nicht von Bürgerversicherung, plant aber ebenfalls eine „solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung“. Mit dieser würde die Beitragsbemessungsgrenze wegfallen, Beiträge würden auch auf Kapitalerträge erhoben und Privatversicherte in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) übernommen.
Am dualen System von GKV und Privater Krankenversicherung (PKV) festhalten wollen dagegen CDU/CSU und FDP. Letztere schlagen in ihrem Wahlprogramm außerdem einen „Evidenz-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitscheck“ vor. Damit soll die Selbstverwaltung Leistungen, die sich „nicht bewährt haben“, aus dem GKV-Katalog streichen.
Darüber hinaus setzen die Liberalen auf finanzielle Anreize für Versicherte: Wer etwa innerhalb eines Jahres keine Leistungen in Anspruch nimmt, soll Krankenversicherungsbeiträge zurückerstattet bekommen oder bei gesundheitlicher Vorsorge, beispielsweise in Form von Früherkennungsprogrammen oder Impfen, einen geringeren Zusatzbeitrag zahlen.
Für Diskussionen sorgten in der Vergangenheit auch versicherungsfremde Leistungen, die aus den Beiträgen der GKV-Versicherten bezahlt werden. So werden beispielsweise zwei Drittel der Gesundheitsausgaben für Bürgergeldempfänger vom Beitragszahler übernommen. Diese sollen künftig ausschließlich aus Steuermitteln finanziert werden, wenn es nach Bündnis 90/Die Grünen, BSW und Alternative für Deutschland (AfD) geht.

Freie Berufe und Selbstverwaltung
Union und FDP sprechen sich explizit für Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung aus. So heißt es im CDU-Papier: „Wir stehen zu den Grundpfeilern des deutschen Gesundheitssystems mit seiner bewährten Selbstverwaltung, (…) zu unserem Bekenntnis zum Grundsatz der Freiberuflichkeit und zur solidarischen Beitragsfinanzierung.“
Die FDP will Leistungserbringer und Verbände außerdem vor „staatsmedizinischen Eingriffen absichern“. Ihre ungekürzte Vergütung solle dabei „leistungsgerecht erfolgen“. Auch die AfD fordert, „die Rationierung ärztlicher Leistungen durch den Zwang, Behandlungen ohne Vergütungsanspruch zu erbringen“, zu beenden.

Die SPD macht in ihrem Programm derweil den Vorschlag einer Termingarantie. Gesetzlich Versicherte sollen demnach „genauso schnell wie Privatversicherte einen Termin erhalten“. Bei Nichteinhaltung der Termingarantie sollen sie einen Anspruch auf Beitragsreduzierungen haben. Der Vorschlag machte medial bereits vor dem Jahreswechsel die Runde.
Steuerung und Koordination
Bündnis 90/Die Grünen wollen indes ein Primärarztsystem. Man wolle „die Primärversorgung insbesondere durch Hausärztinnen und Hausärzte stärken, um eine bessere Behandlungsqualität zu erreichen“, so der Wortlaut. Patientinnen und Patienten sollen „zur richtigen Zeit am richtigen Ort eine optimale Versorgung erhalten“.
Die FDP spricht sich ebenfalls für ein solches System aus. Versicherte, die sich gegen eine Teilnahme am Primärarztsystem entscheiden, könnten für „einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag im bisherigen System bleiben“. Generell wolle man „künstliche Sektorenbarrieren zwischen dem ambulanten und dem stationären Versorgungsbereich konsequent abbauen und die Verzahnung und Vernetzung aller Versorgungsbereiche weiterentwickeln“.
Die Unionsparteien, die dem Bereich Gesundheit insgesamt deutlich weniger Absätze widmen, halten sich dazu zwar etwas bedeckter. Aber auch sie wollen die Haus- und Kinderarztpraxen „innovativ weiterentwickeln“ und ihnen eine stärkere Steuerungsfunktion zuweisen. Dadurch sollen Behandlungsabläufe besser koordiniert und letztlich Wartezeiten gesenkt werden.
Bessere Koordination fordert Bündnis 90/Die Grünen auch zwischen den Sektoren: Die bestehende Trennung zwischen ambulantem und stationärem Finanzierungssystem wolle man abschaffen und mit sogenannten Gesundheitsregionen sowie gemeinsamen Gesundheitszentren aus verschiedenen Therapie- und Pflegeberufen Fehl- und Überversorgung abbauen. Die Notfallversorgung wolle man ebenfalls reformieren. Auch Die Linke wirbt in ihrem Programm für kommunale Versorgungszentren als „Rückgrat der wohnortnahen Gesundheitsversorgung“.

Digitaler Wandel
Größtenteils einig sind sich die Volksparteien beim Thema Digitalisierung: „Sie ist der Schlüssel zu schnellerer und sicherer Versorgung“, schreibt etwa die CDU. Insbesondere in Sachen Bürokratieabbau erhoffen die Parteien sich hier viel. Die SPD will dabei künftig auf KI-gestützte Dokumentation setzen, auch Bündnis 90/Die Grünen und Union nehmen Bezug auf Künstliche Intelligenz.
Die FDP betont außerdem, keine analogen Doppel-Strukturen schaffen zu wollen. Sie spricht sich für eine „Bepreisung“ von Bürokratie- und Berichtspflichten aus: „Wer Bürokratie fordert, muss sie künftig auch bezahlen.“
Kritisch zur Digitalisierung äußert sich die AfD: „Die Schaffung einer zentralen Datenbank mit der Anbindung von Kliniken, Praxen, Psychotherapeuten und Apotheken zur Speicherung vertraulicher Patientendaten (Telematikinfrastruktur – TI) ist abzulehnen.“ Auch das BSW schreibt, Gesundheitsversorgung basiere auf menschlichem Kontakt und ärztlicher Schweigepflicht; Digitalisierungsbemühungen hätten sich an diesem Grundsatz zu orientieren.
Umsetzung fraglich
Bei den diversen Ideen ist allerdings fraglich, was davon Realität wird – und was nur Wunschdenken ist. Gut möglich ist beispielsweise, dass Themen wie die Bürgerversicherung Sondierungen zwischen Union und SPD oder Union und Bündnis 90/Die Grünen erst gar nicht überleben würden. Eine Festschreibung im Koalitionsvertrag dürfte damit noch unwahrscheinlicher sein.
Nichtsdestotrotz sind sich im Grunde alle Akteure in der Gesundheitspolitik einig: Es muss etwas passieren. Eine neue Bundesregierung mitsamt Bundesgesundheitsministerium wird diverseste Herausforderungen angehen müssen – ob es die Notfallversorgung betrifft, den Ärztemangel, Patientensteuerung oder Digitalisierung. Auch die Entbürokratisierung muss schnellstens kommen, meint etwa die KBV. In ihrem Positionspapier zur Bundestagswahl fordert sie die Umsetzung eines entsprechenden Gesetzes in den ersten 100 Tagen nach Amtsantritt.
Eines ist aber ebenfalls klar: Großer Beliebtheit wird sich das Gesundheitsressort bei möglichen Minister-Kandidatinnen und -Kandidaten vermutlich nicht erfreuen. Dabei wäre es gerade jetzt umso wichtiger, die nötigen Weichen für ein „Update“ der Strukturen zu stellen.
Die KBV hat den im Bundestag vertretenen Parteien außerdem acht Fragen – sogenannte Wahlprüfsteine – gestellt. Die Antworten finden Sie auf der Website der KBV.
Einen ersten Schritt hat die scheidende Minderheitskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Entbudgetierung der Hausärztinnen und -ärzte zumindest gemacht. Nach erfolgreicher Regierungsbildung muss diese allerdings weiterentwickelt werden und weitere Schritte folgen – damit sich die Menschen in Deutschland auch in Zukunft auf ihre niedergelassenen Ärztinnen, Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten verlassen können.
Hendrik Schmitz
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