18.04.2023

„Daten können keine Patienten behandeln“

Das Foto zeigt Dr. Stephan Hofmeister, den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der KBV bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit Vertretern der BÄK zum Thema Europäischer Gesundheitsdatenraum (EHDS).
Der EHDS wird viel diskutiert: wie hier auf einer Veranstaltung von KBV und BÄK Ende März in Brüssel. Foto: ©HorstWagner.eu

Vor knapp einem Jahr präsentierte die EU-Kommission ihren Vorschlag für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS). Bis Mitte 2023 sollen die parlamentarischen Beratungen abgeschlossen sein. Auch auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland wird ein solcher Datenraum erhebliche Auswirkungen haben, sagt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).

 

Laut Kommission soll der EHDS den EU-Bürgerinnen und -Bürgern einen unmittelbaren Zugang zu ihren Gesundheitsdaten ermöglichen – und auch Angehörige der Gesundheitsberufe sollen grenzüberschreitend darauf zugreifen und diese im Rahmen der Behandlung auslesen können. Darüber hinaus soll sogar der Forschung und Industrie im Rahmen der sogenannten Zweitverwertung reglementierter Zugriff auf pseudonymisierte Gesundheitsdaten gewährt werden.

Bei einer Brüsseler Diskussionsveranstaltung von KBV und Bundesärztekammer (BÄK) versicherte dazu jüngst ein Mitarbeiter der Kommission, dass der Verordnungsvorschlag bereits zahlreiche Schutz- und Sicherheitsmechanismen für Patientendaten vorsehe. Leistungserbringerinnen und -erbringern beschere der EHDS außerdem erhebliche Zeitersparnisse, so Martin Dorazil, stellvertretender Leiter der Abteilung „European Reference Networks and Digital Health“. Insbesondere wegfallende Untersuchungen durch bereits vorliegende Daten kämen der Versorgung zugute.

 

Sorgen um Datensicherheit

Doch allen Verlautbarungen zum Trotz sind die Pläne der Kommission nicht unumstritten: So kritisiert Europaparlamentarierin Birgit Sippel (SPD), der Datenraum sei quasi eine Blackbox, bei der unklar sei, wo die Daten gespeichert werden, wer darauf zugreifen kann und wer sie wie benutzt. Ziel des EHDS sei nicht, Patientinnen und Patienten zu helfen, sondern die Datenverfügbarkeit für und die Umsätze von Unternehmen zu erhöhen. Mit dem EHDS verwässere die EU die hohen Standards der Datenschutz-Grundverordnung.

Auch der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister betont: „Daten allein können keine Patienten behandeln.“ Goldstandard bleibe der direkte und vertrauensvolle Arzt-Patienten-Kontakt. „Wenn der Eindruck entsteht, dass Daten publik werden könnten, dann kann es sein, dass eine Patientin oder ein Patient kein Vertrauen zum Arzt hat und bestimmte Dinge nicht sagt oder bestimmte Dinge nicht behandeln lässt – oder sich irgendwo jemanden sucht, der das ohne digitale Daten behandelt, und das wäre extrem gefährlich und würde das Arzt-Patienten-Verhältnis nachhaltig verändern.“

Zudem setzt der EHDS technisch einiges voraus: Patientendaten wie etwa Laborwerte, Bildbefunde oder EKGs müssen in Spanien, Finnland oder Deutschland gleichermaßen gelesen werden können und elektronisch kompatibel sein. Auf dem Papier schlägt die Kommission das zwar vor, aber: „Da sind wir noch Lichtjahre von entfernt“, sagt KBV-Vize Hofmeister in einem Video-Interview.

 

Widerspruch oder aktive Teilnahme?

Der Kommissionsvorschlag sieht für die Patientinnen und Patienten außerdem keinen Einwilligungsmechanismus vor. Alle Daten sollen in zentralen Speichersystemen gesammelt werden. Die Patientin oder der Patient könnte dann zwar bestimmte Datensätze verblinden lassen, aber den Weg hinaus aus der Praxis-IT wären sie bereits gegangen. Dies wird von vielen in Brüssel sehr kritisch gesehen.

Denn nach derzeitigem Verhandlungsstand in den parlamentarischen Ausschüssen ist für den EHDS eine Opt-Out-Lösung im Gespräch. Ähnlich wie bei der elektronischen Patientenakte in Deutschland wird von den Parlamentariern also eine automatische Einwilligung der Patientinnen und Patienten diskutiert, der erst aktiv widersprochen werden muss. „Das halte ich für keine ganz ideale Lösung“, erklärt Hofmeister. „Zumindest aber müsste das Opt-out sehr, sehr einfach sein, sehr niedrigschwellig möglich sein, und vor allem: Es darf nicht durch die Hintertür irgendwelche Benachteiligungen in der medizinischen Versorgung geben.“

Wie ist das weitere Verfahren?

Derzeit wird der EHDS-Berichtsentwurf der Ausschüsse des EU-Parlaments diskutiert. Dazu sind mehr als 2.000 Änderungsanträge eingegangen. Die Berichterstatter haben das ehrgeizige Ziel, den Entwurf soweit zu konsentieren, dass er im September 2023 ins Plenum eingebracht werden kann. Zeitgleich diskutiert der Rat der EU, um eine gemeinsame Haltung zum EHDS-Verordnungsvorschlag zu finden. Liegen der Bericht des Parlaments und die Stellungnahme des Rates vor, ist eine Verhandlung im sogenannten Trilog (Parlament, Rat, Kommission) der wahrscheinlich nächste Schritt.

Deutlich offener zeigt sich Hofmeister gegenüber einer Lösung, in der die Patientin oder der Patient der Weiterleitung oder Nutzung seiner Daten durch Dritte im Vorhinein zustimmt. So habe sich etwa auch der Deutsche Bundestag beim Thema Organspende nach langer Debatte für eine ausdrückliche Zustimmungslösung entschieden – selbst in dem Wissen, dass eine solche Spende über Leben und Tod entscheiden kann. Auch beim EHDS sei eine ausdrückliche Zustimmung zu klar gefassten Datennutzungsregelungen die bessere Lösung, betont Hofmeister. Voraussetzung sei aber auch hier, dass den Niedergelassenen keine bürokratische Mehrarbeit entstehe.

Hendrik Schmitz

Die aufgezeichnete Diskussionsrunde von KBV und BÄK „Morning Rounds Breakfast Debate: Ärzte und Patienten im Europäischen Gesundheitsdatenraum“ finden Sie hier. Sie ist in englischer Sprache verfügbar.

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